Eine ökologisch interessante Alternative bieten die Nachtzüge der ÖBB: knapp acht Stunden ab 49 Euro. Orientierung vor Ort verschaffen hingegen Agnieszka Wójtowicz und Wojtek Błaszcyk von Warsaw Trip, www.warsawtrip.pl. Ihr Unternehmen hat sich auf Warschau-Touren mit besonderem Blickwinkel spezialisiert. Praga ist so ein Ziel.

Polnisches Fremdenverkehrsamt: Lerchenfelder Straße 2, A-1080 Wien, Tel.: (0043) 01/524 71 91,  www.polen.travel/de-at

Foto: Phil Nijhuis/Polen-Travel

Über das Angebot und Ausstellungen - Schwerpunkt EEC-Design - unterrichtet die Seite www.magazynpraga.pl.

Foto: Magazin Praga

Restaurants: Relativ neu ist das in einer 200 Jahre alten Mühle untergebrachte Porto Praga - eine Mischung aus World-Cuisine-Restaurant, Live-Music-und Cocktail-Club (www.portopraga.pl).

Foto: Porto Praga

Skład Butelek - wörtlich: Flaschenlager - belebt heute eine Gummiwarenfabrik von 1929 (www.skladbutelek.pl). Die mit einer spektakulären Bar ausgestattete Fabryka Trzciny Art Centre versteht sich auch als Indikator für gesellschaftliche Strömungen. Darauf verweist neben Kunstgalerie, Theater und Konzertsaal die University of free Time. Nähere Infos zum vielfältigen Kulturangebot: www.fabrykatrzciny.pl

Foto: www.fabrykatrzciny.pl

Kupferspan schimmert in jeder Sprache gleich: Sanskrit, Hebräisch, Griechisch, und das gilt auch für Newton'sche Sätze und die Formelsprache der Chemie. Spaziert man die steilen Gässchen der Warschauer Altstadt zur Universitätsbibliothek hinunter, dann leuchtet all das im gleichen, fleckigen Grün einer verkupferten Fassade, die polnische Architekten wie aufgeschlagene Buchseiten gestaltet haben.

Warschau als offenes Buch der Welt. Keine schlechte Lesart, um der Stadt neue Seiten abzugewinnen. Der Dachgarten der beliebten Bibliothek, Warschaus genüsslichster Platz, um ein wenig Botanik und die Frische der Studenten zu studieren, wäre eine verlockende Weichsel-Perspektive. Doch dann räkelt sich ja auch noch das weißlackierte Gerippe der ersten polnischen Schrägseilbrücke über dem zuletzt so dramatisch angeschwollenen Fluss.

Es ist die 448 Meter lange Most Świętokrzyski, deren schräg verlaufende Stahlseile beim Überqueren Canalettos berühmte Warschau-Ansichten soeben in kleine Tortensegmente zerteilen - und wenn man sich schneller, weil im gelben Stadtbus, über die Brücke bewegt, in sonderbar stotternde Phasen eines unscharf gewordenen Standbilds.

Als Canaletto das Weichselufer wechselte, um seine Staffelei aufzubauen, gab es hier vor allem Auwälder. Ein besonderer Biotop ist das flach neben dem linken Ufer anschließende Kaisermühlen von Warschau, der Stadtteil Praga, denn auch geblieben. Und eine raue Ecke, das auch. Das weltoffene Flair der zu Kulturzentren umgewandelten Fabriken - Pragas jüngstes Markenzeichen - soll da nicht täuschen, schon gar nicht am östlichen Ende der Świętokrzyski-Brücke.

Sie mündet hier eher ins Triptychon einer aufgewühlten Urbanität ein: Aupappel plus Bagger plus Nylonwäsche. Die Bauarbeiten für den Umbau des alten Stadions - für viele Jahre Europas größter Trödelmarkt - laufen angesichts der nahenden Euro 2012 auf Hochtouren. Auch der Bau einer neuen U-Bahn-Linie wirft Schotterberge auf - zwischen denen Straßenhändler aus Vietnam und Nigeria ihre wirtschaftliche Parallelexistenz ausbreiten. Steuert man Praga über die traditionelle Lebensader des Viertels an, die Ulica Ząbkowska, dann haben sich die Schwarzpappeln in Hinterhöfe verzogen, deren ziegelrotes Leuchten ein vom Aussterben bedrohtes Milieu verrät: nämlich jenes der historischen Warschauer Vorstadt, komplett mit Holzplankenzaun und Teppichklopfstange und mit Fenstern, denen ein Aroma lauwarmer Krautsuppe und Bierdunst entströmt.

Im katholischen Idealfall legt die Ulica Ząbkowska noch einen blaugetünchten Marienschrein drauf, plus dem stumpfen Leuchten wetterfester Plastikblumen. Und vor allem einen Markt, der hauptsächlich eines ist: so herrlich heruntergekommen wie ein längst wetterfest gewordener Vorstadtganove.

Ein Attribut, das den ultraauthentischen Bazar Różyckiego - imGegensatz zu aktuelleren Businesskonzepten - eines enthebt: nämlich des Verdachts der Doppelbödigkeit des Krisengejammers des reichen Weltfünftels momentan schwer angesagt, fallen denn auch etwas speckiger aus als im New Yorker oder Berliner Lifestyle-Vergleich und werden hier ganz ohne politische Koketterie in die Stirn gezogen - aber als Gütesiegel für gediegene Schwarzmarktqualität.

Die Einlegegurken mit Dill sind eine Nummer dicker am Różyckiego-Markt, etwaige Hehlerware eine Spur publiker. Und spaziert man durch die Brautkleiderund Fellkappenschluchten der engen Marktzeilen, dann taucht das hellblaue Leuchten der primitiven Wellplastikdächer alles in das fleckige Licht weit entfernter Modegalaxien. Kurz: Warschaus Różyckiego-Markt ist das alte Herz Pragas, und für manche der rauchenden, tratschenden Alten, war er wohl auch eine Schule des Lebens, das in Praga nicht immer ganz einfach ausfiel. Lange Zeit galt das Viertel am anderen Ufer als „übles" Anhängsel Warschaus, als für unerwünschte Subjekte der kommunistischen Ära reserviertes Abstellgleis, durch die breite Weichsel vorsorglich vom Rest der Stadt separiert. Eine ziemlich einseitige Perspektive, so viel ist klar.

Spätestens seit Steven Spielberg, und später Roman Polanski Praga in Schindlers Liste und Der Pianist als perfekte Warschauer Vorkriegskulisse in Szene setzten, wurde der Charme des Warschauer Aschenputtels zwingend. Im Gegensatz zu den meisten Stadtvierteln Warschaus hielten sich die Kriegsschäden hier in Grenzen, aber auch die gerühmte Perfektion späterer Restaurierungen. Was in Summe ein von Rost und Granatsplittern vernarbtes Original ergab, eine von Straßenlaternen reizvoll abgedunkelte Vorstadt. Kein Wunder, dass sich seit Jahren Künstler und Kreative von Praga angezogen fühlen. Besucht man die neuen Locations, die seit einigen Jahren für den Aufbruch des Viertels stehen, spielt Kontinuität durchaus eine Rolle. Und also auch der Portier der letzten Warschauer Wodkafabrik, Koneser, der das Misstrauen angesichts artfremder Besucher noch nicht so ganz abgelegt hat, Radarblick unter Käppi inklusive.

Verändert hat sich „sein" Fabriksinnenhof, in dem neben dem Wodka der Marke Żytnia nun auch Kunst gebrannt wird, in der Tat. Ein Alteisensaurier reibt im Innenhof des Fabrik-Clusters auf, verrät die Koexistenz von Galerien und trashigen Designläden. Ein Hochzeitsfotograf schiebt potenzielle „Ja! Ich will!"-Sager vor eingeübte Perspektiven. Nebenan verbreitet der Dalai Lama breites Graffiti-Grinsen. Im Sommer strahlt gar avantgardistisches Open-Air-Kino von der Koneser-Wand.

Für Praga ist das längst Normalität. So wie die pelzige Riesenspinne, die schräg gegenüber von der Wodka/Kunst-Fabrik über dem Portal der Bar W Oparach Absurdu hockt. Besitzerin Ela Komarowska hatte sie einem kreativen Arbeitslosen abgekauft - und zwar, typisch Praga, aus einem parkenden Auto heraus. Ein paar Straßenbahnstationen weiter, im Labyrinth einer ehemaligen Gummischuhfabrik, hat das Prinzip Improvisation indessen längst feste Formen angenommen: Musikproduzent Wojciech Trzciński serviert in seiner Fabryka Trzciny: radikal unverputztes Mauerwerk, Pragas heißeste Gigs neben erkalteten Industrieöfen, ausreichend Performance-Raum für das Teatr Nowy. Und weil es ja auch noch diese Bar vor Orwell'scher Sicherungskastenkulisse gibt: den Drink Poland Now. Rote Schicht Kirschsirup, weiße Schicht Wodka. Oder: Praga für Patrioten. (Robert Haidinger/DER STANDARD/Printausgabe/05.06.2010)