Die Spekulationen der Bundesbahnen blieben lange im Dunkeln, die ÖBB-Organe hatten sie zudem nie genehmigt. Der Rechnungshof kritisiert die verlustreichen Geschäfte scharf.

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Der heute, Montag, vom Rechnungshof vorgelegte Prüfbericht legt offen, wie die ÖBB hochriskante Finanzspekulationen durchführte, die 295 Millionen Euro Verlust brachten. Konsequenzen blieben aus.

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Wien - Heute, Montag, veröffentlicht der Rechnungshof (RH) seinen mit Spannung erwarteten Bericht über die "Finanztransaktionen der ÖBB-Holding-AG und einzelner Konzerngesellschaften mit der Deutsche Bank AG". Er gewährt tiefe Einblicke in organisatorische Mängel der 2004 umgebauten ÖBB und fällt, wie der STANDARD exklusiv berichtete, umfangreich und vernichtend aus.

Allein der "nicht für die Veröffentlichung bestimmte" Rohbericht, der dem STANDARD vorliegt, umfasst 73 Seiten und stellt eine Abrechnung mit dem früheren ÖBB-Holding-Vorstandsduo Martin Huber (war zugleich Aufsichtsratsvorsitzender des Teilkonzerns ÖBB-Infrastruktur-Bau-AG) und Erich Söllinger (Finanzvorstand, ab April 2006 in Personalunion Finanzchef der Teilkonzerne ÖBB-Personenverkehr und Rail Cargo Austria) dar, wie auch mit dem 2007 vom damaligen Verkehrsminister Werner Faymann (SPÖ) mit der Aufklärung des Spekulationsdebakels betrauten Holding-Aufsichtsrat unter Ex-Porr-Chef Horst Pöchhacker.

CDOs um 612,9 Millionen Euro

Laut RH hatten ÖBB-Holding und ÖBB-Bau im Namen diverser Teilkonzerne 2005 nicht nur ohne Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlüsse Collaterized Debt Obligations (CDO) in Höhe von 612,9 Mio. Euro abgeschlossen, sondern es von Mitte 2006 bis Ende 2008 auch unterlassen, "zielgerichtete Entscheidungen bezüglich einer Sanierung bzw. eines Verkaufs des Hybrid-CDO-Squared" zu treffen, schreibt der RH.

Dadurch sei dem ÖBB-Konzern vor dem Hintergrund einer sich seit Anfang 2007 verschärfenden Finanzkrise die Chance entgangen, mit geringeren Verlusten aus den Collaterized Debt Obligations auszusteigen. "Besonders schwer wog in diesem Zusammenhang die Untätigkeit im Jahr 2008, in dem ... der noch nicht realisierte Verlust ... von 231 Mio. Euro im Februar 2008 auf 523,4 Mio. Euro Ende Dezember 2008 anwuchs", kritisiert der RH den scheidenden ÖBB-Holding-Vorstand rund um Peter Klugar und den aktuellen Aufsichtsrat. Eine Darstellung, der die ÖBB widerspricht.

Wiewohl sich das Warten auszahlte (der letztlich realisierte Verlust verminderte sich bis 2010 auf 295 Mio. Euro): Klar wird mit dem RH-Bericht, dass die verantwortlichen ÖBB-Manager Huber, Söllinger und Gilbert Trattner (ehemals FPÖ-Bundesgeschäftsführer, seit 2004 Finanzvorstand ÖBB-Infra-Bau) sowie das für Finanzierungen des ÖBB-Konzerns zuständige Treasury der ÖBB-Holding im Sommer 2005 die hochriskanten Kreditversicherungen ohne ausreichende Kenntnisse und Organbeschlüsse abgeschlossen haben.

Spekulationsdebakel

Die Chronologie des ÖBB-Spekulationsdebakels liest sich wie ein Krimi: Mitte 2005 bekommt die ÖBB-Holding über einen Finanzvermittler einen Vorschlag für ein derivatives Finanzinstrument der niederländischen Rabobank, das den Ertrag der auf Depots geparkten Cross-Border-Mietvorauszahlungen in Millionenhöhe erhöhen würde. Die ÖBB sollten Kreditrisiken im Volumen von 689,9 Mio. US-Dollar und 38 Mio. kanadische Dollar übernehmen - etwas weniger als die letztlich fixierten 612,9 Mio. Euro gewesen wären.

Auf Basis dieses laut RH "nicht näher definierten Angebots" verlangten ÖBB-Holding und ÖBB-Treasury den Vorständen und Aufsichtsräten der ÖBB-Teilkonzerne Personenverkehr, ÖBB-Bau und Rail Cargo Austria (RCA) entsprechende Vollmachten und Zustimmung ab. Dieses Geschäft kam allerdings nie zustande, denn am 11. August 2005 schloss die ÖBB-Bau-AG einen "Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte" mit der Deutschen Bank ab.

Diese "Mandatsvereinbarung" sah vor, dass binnen vier Wochen eine Transaktion bestehend aus 19 Geschäftsarten im Gesamtvolumen von 719,8 Mio. US-Dollar und 38,4 Mio. kanadischen Dollar (zusammen umgerechnet 612,9 Mio. Euro) durchgeführt wird, also um 29,9 Mio. US-Dollar und 400.000 kanadische Dollar höher als ursprünglich geplant.

CDO2 als "Risikomagnet"

Die ÖBB-Bau-AG erwarb damit "unfunded" eine Senior-Tranche eines Synthetischen Single-Tranche-Hybrid-CDO2 im Volumen von 612,9 Mio. Euro. Der CDO2 der ÖBB war laut RH ein "Risikomagnet", weil er im Gegensatz zu einem gewöhnlichen CDO nicht aus Anleihen, Forderungen und Kreditderivaten besteht, sondern aus Credit Default Swaps und CDO-Tranchen, die nach dem sogenannten Squared-Algorithmus miteinander verbunden sind. Kauft man "unfunded" wie die ÖBB, sinken die Prämien für den Käufer, er erspart sich aber das Geld für den Kauf.

Den Risikogehalt beschreibt der RH so: Die von der ÖBB-Bau-AG erworbene Senior-Tranche war Teil eines anfänglich 31,5 Milliarden Euro großen Synthetischen Single-Tranche-Hybrid-CDO2 mit acht bis zehn Jahren Laufzeit und bester Bonität. Die Übernahme eines maximalen Ausfallrisikos von 612,9 Mio. Euro hätte der ÖBB bis 2015 insgesamt 36,9 Mio. Euro an Prämieneinnahmen beschert.

Nun dauert es zwei Monate, bis sich ÖBB-Holding-Finanzvorstand Söllinger schlaumacht. Da die Deutsche Bank für den Ausstieg einen von der ÖBB nie bezifferten "zweistelligen Millionenbetrag" verlangt, informieren Huber und Söllinger am 11. November 2005 erstmals den damaligen ÖBB-Holding-Aufsichtsratspräsidenten, Wienerberger-Chef Wolfgang Reithofer. Der beruft für 15. November 2005 eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung ein, allerdings nicht wegen Spekulationsgeschäften, sondern wegen "rufschädigender Äußerungen von Organen der ÖBB in der Öffentlichkeit". Gemeint ist damit der Sager von ÖBB-Betriebsratschef Wilhelm Haberzettl, die ÖBB sei "ein Saustall".

Besprochen werden in dieser Sitzung freilich weder CDO noch "Saustall-Sager". Denn Reithofer, Huber und Söllinger informieren nicht den gesamten Aufsichtsrat, sondern nur die Kapitalvertreter. Und das nicht in der a. o. Aufsichtsratssitzung, sondern in einer Vorbesprechung.

Absicherungsvereinbarungen

Am 30. November 2005 schließen ÖBB-Bau-AG und ÖBB-Holding mit der Deutschen Bank Änderungen des derivativen Finanzinstruments ab. Am 15. Dezember 2005 berichten Huber und Söllinger dem Aufsichtsrat erstmals "über ein derivatives Geschäft im Zusammenhang mit Cross-Border-Leasing-Wertpapieren".

In der Folge schließen ÖBB-Holding und ÖBB-Bau-AG bis 20. Juli 2006 insgesamt 17 Absicherungsvereinbarungen ab, die von den Vorständen der betroffenen Teilkonzerne Personenverkehr, RCA und ÖBB-Bau vollzogen, deren Aufsichtsräten aber nie zum Beschluss vorgelegt werden.

Im März 2009, nachdem die ÖBB mit ihrer Klage gegen die Deutsche Bank abgeblitzt ist, beschließt die ÖBB-Holding, die Absicherungsvereinbarungen zu kündigen, im Februar 2010 erfolgt die formale Beendigung der Spekulationsgeschäfte mit einem Verlust von 295 Millionen Euro. (Luise Ungerboeck, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.6.2010)