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derStandard.at: Sie haben in Ihrem Blog über die Grünen geschrieben: „Wir sind mit unseren WählerInnen alt geworden. Wir sind Spaßbremsen, bieder und ernst.". Ganz schön harte Worte.

Margulies: Mein Gott, harte Worte - ich hab oft das Gefühl das ist halt die Realität, so kommen wir beim Wähler oft rüber. Es gibt natürlich viele Grüne, die ganz anders sind, aber diese Eigenschaften sind halt das, was nach außen vermittelt wird. Da geht's auch gar nicht um Hedonismus, aber wir sollten nicht lustfeindlich rüberkommen.

derStandard.at: Was wäre denn zum Beispiel lustfeindlich?

Margulies: An einzelnen Themen lässt sich das schwer festmachen. Das ist halt das Bild, das sich in Summe ergibt. Selbst inhaltlich richtige Forderungen können falsch rüberkommen. Etwa die Debatte ums Nichtrauchen, oder auch falsch zitierte Sätze zum Besuch von Schanigärten. Natürlich ist der Anrainerschutz wichtig und notwendig, aber es kommt halt darauf an, wie man etwas kommuniziert. Ich denke: Wir sind zu bieder, wir sind zu brav, wir stellen nur mehr Schutzansprüche in den Vordergrund.

derStandard.at: Setzt man themenmäßig aufs falsche Pferd?

Margulies: Ja. Wir müssten noch viel, viel stärker Antworten auf die Wirtschaftskrise geben. Aufzeigen: Ja, es gibt noch Alternativen jenseits des Neoliberalismus. Das wird von nicht so wichtigen Themen verdrängt.

derStandard.at: Wie bringt sich eine Oppositionspartei stärker in den Vordergrund, was die Bekämpfung der Krise angeht?

Margulies: Man muss stärker aufzeigen, wie korrupt diese Gesellschaft zum Teil ist, wie sich diese Verknüpfungen von Politikern, Banken und Wirtschaftsmagnaten auswirken, wie ungleich das Vermögen verteilt ist. Vermitteln, dass der Reichtum der einen verantwortlich ist für die Armut der anderen. Da kann man schon härtere Forderungen stellen, etwa eine Vermögenssicherungsabgabe, die den Reichsten in Österreich einmalig fünf Prozent ihres Vermögens wegnimmt.

derStandard.at: Müssen die Grünen Ihrer Ansicht nach radikaler werden?

Margulies: Ja, jedenfalls!

derStandard.at: „Etwas mehr an Populismus wär auch ok", schreiben Sie weiter in Ihrem Blog. Gehen da nicht viele Grüne auf Abstand?

Margulies: Ach was, das glaub ich gar nicht. Populismus ist ja nichts Böses. Oft steht er im Zusammenhang mit dem salonfähig machen von menschenverachtenden Ressentiments, das ist das Problem. Aber wenn man Populismus als den Versuch versteht, Menschen Probleme und Themen näherzubringen, so dass sie sie auch wirklich annehmen und verstehen können, dann ist gar nichts gegen Populismus einzuwenden.

derStandard.at: Wo könnte man ansetzen, was das „populistischer werden" angeht?

Margulies: Die grundlegende Lösung wäre, nicht alle Forderungen total zu verkomplizieren. Es war immer eine Schwierigkeit der Grünen, komplizierte Antworten in einem Satz darzustellen. Es würde reichen, wenn wir bei der eigenen Position drei oder vier „Aber" wegzulassen, nicht immer alles zu relativieren und sich gleich dafür zu entschuldigen.

derStandard.at: Brauchen die Grünen mehr Mut?

Margulies: Ich glaube, mutig genug sind wir, aber oft wollen wir zu genau, zu exakt sein. Das machen ja die anderen Parteien auch nicht. Wir müssen halt klar dazu stehen, was wir wollen.

derStandard.at: In vielen Grünen schlummere „der Wunsch nach einer charismatischen Führungspersönlichkeit", schreiben Sie weiter - schließe ich daraus dass es momentan mit Eva Glawischnig oder Maria Vassilakou keine charismatische Führungspersönlichkeit gibt?

Margulies: Ich schicke mal voraus - charismatische Führungspersönlichkeiten sind generell sehr spärlich gesät in Österreich, wenn ich mir die Führungspersönlichkeiten der anderen Parteien so anschaue.
Aber: Ja, wir haben auch nicht grad diejenigen, die alle vom Hocker reißen. Hören wir doch auf zu versuchen vorzugeben, dass wir sie haben. Wir haben ganz viele engagierte Leute, konzentrieren wir uns doch darauf, dass die ihre Inhalte in den Vordergrund stellen und hören wir auf, auf diese Führungspersönlichkeiten zu setzen.
Ich will jetzt keine neue Führungsdebatte, das würde ja nichts bringen, denn es ist auch niemand da, bei dem man sagen könnte: „Boah, der/die wäre es". Aber hören wir doch auf uns etwas einzureden und versuchen wir die Menschen mit Inhalten zu überzeugen. (Anita Zielina, derStandard.at, 4.6.2010)