Big Brother auf der Wiese: Den Grillen wurden Plaketten aufgeklebt, um sie ohne Verwechslungsgefahr beobachten zu können.

Foto: Uni Exeter

Washington - Es wäre eine ganz normale Wiese in der regenreichen nordspanischen Provinz Asturien, wenn da nicht diese seltsam anmutenden Apparate wären. 64 Videokameras hat das britisch-spanische Wissenschafterteam aufgestellt. Mittels Infrarot-Technologie können diese rund um die Uhr filmen, auch bei tiefster Dunkelheit. Die Geräte sind auf die Wohnröhren der hier lebenden Feldgrillen gerichtet. Alles, was dort vorgeht, wird genau festgehalten. Mikrofone registrieren sämtliche Geräusche, die Tiere leben unter totaler Überwachung.

Das Projekt dient der Erforschung des Paarungsverhaltens dieser kräftigen Insekten. Feldgrillen (Gryllus campestris) leben einzelgängerisch und bleiben meist in der unmittelbaren Nähe ihrer Bauten. Ihre Fortpflanzung wurde im Labor zwar ausgiebig untersucht, aber noch nicht in freier Natur. Das hat sich dank der asturischen Überwachungsmaßnahmen geändert. Die Ergebnisse der ersten zwei Sommer wurden nun im Magazin Science (Bd. 328, S. 1269) publiziert. "Unser Kollege Rolando Rodríguez-Munoz hat hierfür etwa 250.000 Stunden Videomaterial ausgewertet", berichtet Studienleiter Tom Tregenza von der University of Exeter dem STANDARD.

Die Methode ist äußerst arbeits- und materialaufwändig, aber vom Prinzip her einfach. Sämtliche Grillen der Wiesenpopulation werden eingefangen und bekommen eine Miniatur-Nummernplakette auf den Rücken geklebt. Gleichzeitig nehmen die Wissenschafter eine Gewebeprobe von einem Hinterbein. Diese dient der genetischen Analyse. Die Videoaufnahmen zeigen genau auf, welche Männchen sich mit welchen Weibchen wie oft paaren. Da die Wohnröhren von Feldgrillen für amouröse Aktivitäten zu eng sind, muss die Begattung draußen stattfinden - vor laufender Kamera.

Die Freilandstudie bietet bereits einige unerwartete Ergebnisse. "Bislang glaubte man, dass nur die Weibchen auf Partnersuche umherwanderten und sich vom Zirpen der Männchen anlocken ließen", so Tregenza. Doch das stimmt offenbar nicht. Grillenmänner gehen ebenfalls auf Brautschau. Beide Geschlechter haben übrigens einen Hang zur Promiskuität, und für beide, nicht nur die Männchen, gilt in der Regel: je mehr Partner, desto größer der Fortpflanzungserfolg. Die Anzahl der überlebensfähigen Nachkommen, die jede Grille hat, lässt sich durch DNA-Analysen bei den erwachsenen Tieren ermitteln. Hierbei zeigt sich eine weitere Überraschung. Die Mehrheit der asturischen Grillen hinterließ gar keinen Nachwuchs, auch wenn sie Gelegenheit zur Paarung hatte.

Besonders interessant ist auch das Verhalten von großen Männchen im Vergleich zu ihren schwächeren Geschlechtsgenossen. Erstere haben meistens mehr Nachkommen, aber sie paaren sich mit weniger Partnerinnen als ihre kleinwüchsigen Rivalen. "Die Dominanten neigen dazu, längere Zeit mit einem Weibchen zu verbringen." Die kleineren Grillen praktizieren häufigen Partnerwechsel und zirpen auch viel mehr als die kräftigen Kerle. "Entweder sind es große, schweigsame Typen, oder sie sind klein und machen Lärm." (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, Printausgabe, 04.06.2010)