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Günter Verheugen: Nicht die Währungsunion hat versagt, sondern die Politiker.

Foto: APA/EPA/Olivier Hoslet

Günter Verheugen, Ex-Vizepräsident der EU-Kommission, kritisiert zögerliches Verhalten bei der Griechen-Hilfe. Ohne Umschichtung der Budgets lande die EU im Abseits, sagte er Andreas Schnauder.

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STANDARD: Wie sehen Sie das oft als zögerlich gebrandmarkte Verhalten der EU seit Ausbruch der Krise?

Verheugen: Die Reaktion auf die Bankenkrise war zwar verzögert, aber dann konsequent und entschlossen. Die Bankenrettung war notwendig und richtig. Etwas skeptischer bin ich bei der Reaktion auf den Konjunktureinbruch. Die kreditfinanzierten Konjunkturprogramme werfen die Frage auf, wie man von den Schuldenbergen wieder herunterkommt. Die neuen Schulden haben zwanzig Jahre Haushaltskonsolidierung auf einen Schlag zunichte gemacht. Das ist schon sehr massiv. Was die tatsächlichen Wirkungen der Konjunkturmaßnahmen angeht, kann niemand sagen, wie viel davon wirklich auf zusätzliche Ausgaben und wie viel auf psychologische Faktoren zurückgeht.

STANDARD: Die Kritik richtet sich aber in erster Linie auf das Verhalten in der Griechenland-Krise.

Verheugen: Hier sind Fehler gemacht worden. Der schwerste war, dass bei Griechenland nicht ganz am Anfang gesagt wurde, wir sind eine Schicksalsgemeinschaft und stehen zusammen. Eine klare Botschaft der Solidarität nach außen hat lange gefehlt. Stattdessen wurde den Märkten wochenlang signalisiert, die wichtigste EU-Volkswirtschaft, Deutschland, wird Athen hängen lassen. Das wurde natürlich von den Märkten so verstanden, dass auch anderen Staaten mit hoher Verschuldung nicht beigestanden wird. Das hat die Krise verschärft.

STANDARD: Nach Aufspannen des Euro-Rettungsschirms sprach Angela Merkel plötzlich von der größten Krise der EU.

Verheugen: Diese Darstellung sollte die Kehrtwende legitimieren. Wir haben heute nicht die größte Krise der europäischen Integration. Wir haben ernste Probleme, aber es steht nicht das europä-ische Projekt infrage. Es ist doch wohl klar geworden, dass diese Krise nur gemeinsam bewältigt werden kann.

STANDARD: Nun muss sich die EU aber Vorwürfe gefallen lassen, sie habe mit dem Ausputzen von Euromitgliedern Verträge gebrochen.

Verheugen: Einzelne dieser Maßnahmen sind hart am Rande und widersprechen vielleicht nicht den Buchstaben, jedenfalls aber dem Geist der Verträge. Man muss schon die Frage stellen, ob die fundamentalen Bedingungen z.B. Deutschlands für die Zustimmung zur Währungsunion noch erfüllt sind. Die Politik der EZB in der nächsten Zeit wird zeigen, ob ihre Prinzipien noch gelten.

STANDARD: In Ihre Zeit als Kommissar fiel die Verwässerung des Stabilitätspaktes, die massiv von Frankreich und Deutschland betrieben war. Wie sehen Sie das?

Verheugen: Wieso, der Stabilitätspakt wurde nicht verwässert - die Regel lautet: In guten Zeiten muss mehr konsolidiert werden, in schlechten kann eine begrenzte Haushaltsüberschreitung stattfinden. Man muss ihn aber einhalten.

STANDARD: Ist somit die heutige Krise von der EU selbst verschuldet?

Verheugen: Ich bin der Auffassung, dass das europäische Regelwerk nicht für die Probleme verantwortlich ist. Ich glaube nicht, dass die Gesamtarchitektur der Währungsunion falsch ist. Aber ich meine, dass innerhalb des Regelwerks die Politik ihre Aufgaben nicht erfüllt hat, weil das ganze Überwachen und Bewerten als reine Beamtenangelegenheit betrachtet wurde. Das war eine Politik, die sich auf Verfahren verlassen hat, die sich aber nicht um die realen wirtschaftlichen Belange kümmerte - kurz: eine Politik des Wegschauens.

STANDARD: Europa hat nicht nur Finanzprobleme. Auch konjunkturell fällt der Kontinent zurück, langfristig drohen zudem die Kosten der Alterung Potenziale zu vernichten. Was macht die EU falsch?

Verheugen: Wir wissen ganz genau, was wir machen müssen, um in der Globalisierung erfolgreich zu sein. Wir müssen unsere Stärken stärken - vom Binnenmarkt angefangen, über Forschung, Innovation und Bildung bis hin zur vollen Ausschöpfung der Potenziale der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - wir müssen es nur schlicht tun. Dazu kann der neue EU-Vertrag beitragen.

STANDARD: Woher kommt das Geld?

Verheugen: Aus Haushalten, die klare Prioritäten setzen und umschichten. Zum Beispiel geben wir immer noch fast 45 Prozent des EU-Haushaltes für Agrarpolitik aus. Das Forschungsbudget der EU ist bescheiden, und die Mitgliedstaaten haben bisher ihr Ziel verfehlt, drei Prozent des BSPs für Forschung auszugeben - das liegt vor allem an den Großen. All das ist eine Frage der Prioritäten. Felipe González hat völlig recht: Entweder wir reformieren uns, oder wir landen im globalen Abseits.

STANDARD: Sie sprachen den neuen Vertrag an. Vom einheitlichen Gesicht der EU oder einer Telefonnummer ist wenig zu spüren.

Verheugen: Abwarten - für eine Zwischenbilanz ist es noch zu früh.

STANDARD: Die neue EU-Außenministerin, die nicht so heißen darf, ist bisher nur durch interne Streitereien um Kompetenzen beim Diplomatischen Dienst aufgefallen.

Verheugen: Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass diejenigen, die Cathy Ashton so gerne runterreden, in Wahrheit nicht daran interessiert sind, dass sie ihren Job erfolgreich machen kann. Ich kenne Cathy Ashton und weiß, was sie kann. Sie muss sich aber mit vielen Widerständen in Mitgliedsstaaten und Kommission herumschlagen. Das ist nicht einfach. Dabei ist es so wichtig, dass Europas Schicksal von uns selbst und nicht von außen bestimmt wird. Dazu müssen wir unsere Interessen gemeinsam artikulieren. Wenn wir das nicht schaffen, können wir alles andere vergessen.

STANDARD: Ein Element des neuen Vertrags ist das EU-weite Volksbegehren. Was sagen Sie zur Initiative von SPÖ und SPD für ein Plebiszit zur Finanztransaktionssteuer?

Verheugen: Ein interessanter Gedanke - das würde vielleicht unsere Stimme bei den dazu notwendigen globalen Verhandlungen stärken. Aber noch sind die genauen Regeln für eine solche Bürgerinitiative nicht da.

STANDARD: Was halten Sie von einem nationalen oder europäischen Alleingang bei der Finanzsteuer?

Verheugen: Gar nichts. Ich war schon nicht glücklich darüber, dass viele regulatorische Schritte ohne Abstimmung mit den Amerikanern und anderen vice versa erfolgen. Eine Regulierung der Finanzmärkte, die international agieren, darf keine nationalen oder kontinentalen Schlupfwinkel bieten. Eine allein europäisch ausgestaltete Finanztransaktionssteuer entspricht nicht der Realität der Finanzmärkte. Sie würde uns schwächen, aber die Gefahren nicht beseitigen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.6.2010)