Peking/Hongkong - Der japanische Autobauer Honda Motor Co bekommt in seinen Werken in China dieser Tage einen Vorgeschmack auf das, was Experten zufolge früher oder später Alltag sein könnte: Rebellierende chinesische Arbeiter, die ganze Fabriken mit Streiks lahmlegen, und mehr Lohn einfordern. Vorerst dürften solche Vorkommnisse zwar eine Ausnahme bleiben. Langfristig müssen sich Unternehmen im Land des Lächelns aber auf mehr Widerstand einstellen. "Ausländische Investoren sind von einer falschen Sicherheit eingelullt worden, nämlich dass es in China eine gefügige Arbeiterschaft gibt", sagte Volkswirt Arthur Kroeber von Dragonomics.

"Die chinesische Arbeiterschaft ist nicht von Natur aus gefügig. Es gab eine Zeit, in der alles irgendwie glatt lief. Nun beginnt eine Periode, in der es mehr Zwänge geben wird", sagt Kroeber. Verlässliche Zahlen darüber, wie viele Chinesen jedes Jahr ihre Arbeit einfach hinschmeißen, gibt es nicht. Viele Streitigkeiten zwischen Arbeitern und ihren Chefs sind vermutlich kurz und niemand erfährt davon. Mehr und mehr Vorfälle, die bekanntwerden, deuten aber darauf hin, dass Honda nur der Vorbote dafür ist, dass sich allmählich die Macht mehr und mehr auf die Seite der Arbeiter verlagern wird.

"Gewerkschaften vertreten uns nicht"

Zwei Faktoren dürften die Entwicklung bestärken. Zum einen die steigende Unzufriedenheit der Chinesen mit den staatlichen Gewerkschaften: In den chinesischen Honda-Werken versuchten die gelbbemützten Männer der Staatsgewerkschaft vergeblich, die Streiks zu beenden. "Die Gewerkschaften vertreten uns nicht", sagte eine Honda-Arbeiterin. "Sie haben nur unsere Forderungen zurückgewiesen." Oberstes Ziel der ausschließlich staatlichen Gewerkschaften ist es traditionell, Streiks zu verhindern. Arbeitsniederlegungen sind in China sogar offiziell verboten, weil die Regierung jede Vorform möglicher sozialer Unruhen im Keim ersticken will. Doch insbesondere in Südchina, der "Welt-Werkstatt", wo viele Konzerne günstig produzieren lassen, hat es unlängst Widerstand gegeben, weil die Kosten immer weiter zulasten der Arbeiter gesenkt werden sollen. Die Selbstmordserie beim taiwanesischen Elektronikhersteller Foxconn, der in China unter anderem für Apple produziert, hat in den vergangenen Tagen ein Schlaglicht auf die Arbeitsbedingungen vor Ort geworfen.

Der zweite Faktor ist die erwartete demografische Entwicklung: Die Zahl der Chinesen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren hat sich in den vergangenen 20 Jahren stets bei rund 200 bis 225 Millionen bewegt. Es wird erwartet, dass sich diese Bevölkerungsgruppe zahlenmäßig über die nächsten gut zehn Jahre um ein Drittel verkleinern wird, so Kroeber. Dadurch erhielten die jungen Arbeiter mehr Verhandlungsmacht, da sie nicht - wie heute - ohne weiteres zu ersetzen sein werden. "Wenn wir streiken, fliegen wir raus, und es stehen rund 10.000 weitere Schlange, um uns zu ersetzen", schildert Volkswirt Kroeber die heutige Situation der Arbeiter. Dies werde aber langfristig so nicht mehr funktionieren, weil es die 10.000 Wartenden nicht mehr geben werde.

Die chinesischen Arbeiter haben wegen der Finanzkrise ohnehin bereits Opfer bringen müssen. Fabriken wurden geschlossen, Löhne gekürzt. Multinationale ebenso wie chinesische Exportfirmen haben ihre Produktion weiter ins Landesinnere verlagert, wo die Löhne noch niedriger sind. Doch es wächst eine neue Generation von Chinesen heran, die - anders als ihre Eltern - keine Alternative wie etwa einen Rückzug auf das Land haben. "Sie haben kein anderes Leben als das in der Fabrik, also müssen sie die Fabrik so machen, dass sie damit leben können", sagte Lee Chang Hee, Experte bei der Internationalen Arbeitsorganisation in Peking. Arbeiter bei Hyundai Motor sind dem Beispiel von Honda bereits gefolgt. Sie legten am vergangenen Wochenende die Arbeit nieder. Schnell versprach man ihnen mehr Geld. (APA/Reuters)