Der Wiener Karlsplatz aus der Warte der Polizei: Videoüberwachung zentraler Plätze hat laut Experten oft eine Verdrängung der Kriminalität an andere, nichtüberwachte Orte zur Folge

Foto: DER STANDARD/Christian Fischer

Wien - In der Wiener Neustädter Herrengasse, wo sich vor 2006 Betrunkene regelmäßig Prügeleien lieferten und Taschendiebstähle an der Tagesordnung waren, herrsche jetzt Ruhe, erzählt Herwig Lenz, Präventionsexperte des Bundeskriminalamts: „Seit diese Zone videoüberwacht wird, ist die Kriminalitätsrate drastisch gesunken", schilderte er beim Video Day 2010: "Was sich in den nicht überwachten Seitenstraßen abspielt, ist aber eine andere Geschichte."

Diesen "Verdrängungseffekt" krimineller Risiken aus Bereichen, die per Kamera überwacht werden, würden sicherheitsbewusste Menschen meist unterschätzen, sagte Lenz bei dem von der Datenschutzorganisation Arge Daten organisierten Expertentag. Ebenso den "Gewöhnungseffekt" bei den Tätern: „Wer eine Kamera über seiner Wohnungstür installiert, muss damit rechnen, dass Einbrecher eben eine Skimaske aufsetzen." Besser - wenn auch teurer - sei es, Türen und Fenster einbruchssicher auszustatten.

Doch laut Arge-Datenschutz-Obmann Hans Zeger sind das subjektive Sicherheitsbedürfnis und die in Videoüberwachung gesetzten Hoffnungen überwältigend. Eine Million Kameras - so schätzt er - sind österreichweit im Einsatz, als privater Objektsschutz und in Geschäften. Etwa in vielen Rewe-Filialen, wie Sabine Tillinger, Juristin des Konzernbetriebsrats, berichtete: Viele Mitarbeiter vertrauten auf Überfallprävention durch Video: "Je sichtbarer die Kameras angebracht sind, umso besser".

Anders als bei Rewe seien 90 Prozent aller Videoüberwachungsanlagen in Österreich derzeit nicht genehmigt, kritisierte Zeger. Sie seien ohne rechtliche Kontrolle, die durch die im Jänner in Kraft getretene Datenschutznovelle 2010 verstärkt worden ist (siehe "Wissen").

Okay des Postlers nötig

So sind jetzt zum Beispiel Hinweisschilder und die Zustimmung aller Betroffenen Voraussetzung für die Überwachung mit vorübergehender Speicherung der Aufnahmen. Doch in einem Mietshaus seien diese schwer einzuholen. „Da muss jeder einverstanden sein, bis hin zum Postler, der die Briefe bringt", erläuterte Gregor König, stellvertretender Leiter der Datenschutzkommission (DSK).

Nicht eingehalten, so König, werde meist auch die Regel, dass im Umkreis von Echtzeitkameras angezeigt werden muss, wie man unüberwacht an ihnen vorbeikommt. Und das jetzt verbriefte Recht jedes Bürgers, Auskunft zu erhalten, wo und wie man videogefilmt wurde, macht nicht nur Karlheinz Klausner von den Wiener Linien nervös. "Ein Mitarbeiter wurde abgestellt, um die verlangte Aufnahme auf den Bändern zu finden. Dann musste er eine schriftliche Zusammenfassung der Szene anfertigen", schilderte er. Bisher sei ein Auskunftsersuchen eingelangt: "Wir hoffen, dass es nicht bald hundert sind." (Irene Brickner/DER STANDARD, Printausgabe, 2. Juni 2010)