Bei einem Projekt des Theaters an der Wien inszenieren 14- bis 19-Jährige den "Freischütz" auf ihre Art. Zentral dabei ist der Druck, dem sich die Jugendlichen heute ausgesetzt fühlen.

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Wien - Schauplatz: der prunkvolle Saal des Theaters an der Wien. Ein junger Mann steht vor dem geschlossenen Vorhang und mischt elektronische Musik an mehreren Turntables. Die Musik verebbt und der Vorhang wird hochgezogen. Auf der Bühne steht ein weiß gekleidetes Mädchen: "In unserem Freischütz geht es um den Probeschuss, das Erwachsenwerden und den Druck, dem Jugendliche ausgesetzt sind" , beschreibt sie die Neuinszenierung der Oper von Carl Maria von Weber, die im Rahmen des "Jugend an der Wien" -Projekts erarbeitet wurde.

Locker und leicht springen Schauspieler durch das simple, aber eindrucksvolle Bühnenbild, welches für die eigentliche Freischütz-Aufführung von Stefan Ruzowitzky entworfen wurde, und stellen ihre jugendliche Unbeschwertheit zur Schau. Doch plötzlich wird alles still. Drei ähnlich angezogene, das Gewehr anlegende Charaktere stellen sich vor: "Ich bin Max. Ich weiß nicht mehr ein und aus" , wehklagt der erste, Noah Saaverda. Schon läuft der zweite, Laurence Strasser, zum Bühnenrand und jammert: "Ich bin Max. Es macht mich wahnsinnig, seit Wochen treffe ich nicht mehr" , und auch Wendy Hok fällt auf die Knie und seufzt: "Ich bin Max. Mich verfolgt das Missgeschick. Hat denn der Himmel mich verlassen?" Schallendes Gelächter verfolgt den von drei Schauspielern dargestellten Max, dessen Traum es ist, Agathe zu heiraten. Doch wie es der Familienbrauch so will, muss er zuerst einen Probeschuss abgeben. Er ist verzweifelt. Die drei Besetzungen drücken je eine seiner Eigenschaften und zugleich seine Angst aus: Er habe seine Treffsicherheit verloren, und die Versagensängste quälen ihn. Agathe, welche auch dreifach besetzt ist, spricht ihm Mut zu, doch Max lässt sich von seinem Freund Kaspar zum Alkohol verleiten. "Man träumt sich in Erinnerungen, aber auf einmal ist einem jedes Mittel recht, um dem Druck zu entfliehen. Man lässt sich leichter verführen" , erläutert die Erzählerin und Eremitin, Veronika König.

Auf einen Schlag dunkel

So kommt es, dass Kaspar Max verspricht seine Qualen zu lindern, indem er ihn um Mitternacht in die berühmt-berüchtigte Wolfsschlucht Samiels lockt. Gefolgt von dichtem Nebel, einer Vielfalt an Special Effects und lauter Musik läuft er die Schlucht hinunter. Die Spannung steigt: Wird sich Max auf die "Hilfe" der Bösewichte einlassen? Man zählt bis sieben. Langsam, aber dann immer schneller versammeln sich mehr und mehr schwarz gekleidete Schauspieler in der Wolfsschlucht. Das Orchester, welches auch mit Jugendlichen besetzt ist und von vier ORF-Radio-Symphonikern unterstützt wird, tobt: von Violinen über Cello, vom Gong bis hin zur singenden Säge. Und Max greift zu den verbotenen Substanzen, welche ihm Erfolg bringen sollen. Alle tanzen, jubeln und feiern, doch als der letzte Glockenschlag ertönt, kommt auf einen Schlag die Dunkelheit zurück.

"Ob Agathe wohl ahnt, was heute Nacht geschehen ist?" , fragt sich Max und setzt zum Probeschuss an, während rundherum das Gespött lauter wird. Kuno, Agathes Vater, gibt das Kommando, und man hört einen lauten Knall. Agathe stürzt dazwischen. Das Leben aller wird ausgelöscht, und Ruhe kehrt ein. Doch langsam erwacht die Geliebte und mit ihr die ganze Bühne wieder zum Leben.

Unter der Regie von Rainer Vierlinger wird die Oper gekonnt in die heutige Zeit transponiert. Anhand von Workshops und einem Künstlergespräch mit Karl Markovics arbeiteten die Jugendlichen die Charaktere aus - woraus die Idee entstand, jede Rolle mehrfach zu besetzen, sodass jeder Protagonist eine Eigenschaft verkörpern kann. "Ich finde die Charaktere total interessant, weil unsere eigene Interpretation zum Vorschein kommt und unsere Persönlichkeiten auch Ausdruck gewinnen" , meint die Erzählerin Veronika König. Catharine Leiter, die Hauptverantwortliche des "Jugend an der Wien" -Projekts, erklärt, dass die Jugendlichen durch die Mitarbeit einen ganz anderen Zugang zum Stück bekommen würden.

Aber nicht nur die Rollen, sondern auch die Musik wurde durch die Komposition des Schülers Marcelo Peralta und der jugendlichen Besetzung des Orchesters - die jüngste Cellistin ist elf Jahre alt - einer kleinen Revolution unterzogen. Zwar sei die Arbeit mit den jungen Künstlern auch anstrengend, doch "es ist vielfältig, und durch die Spontaneität und kreative Energie der Jugendlichen wird enorm viel Input gebracht" , meint Beate Göbel, Leiterin der Schauspielgruppe, begeistert.
(Selina Thaler, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.5.201)