"Landesgrenzen sorgen hier viel weniger für Hindernisse als in der Realität" , lobt Wolfgang Weeber die jungen Delegierten, die bei der Model United Nations in der Uno ihre Anträge einbrachten.

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Wien - Langsam kehrt Ruhe im Versammlungssaal ein. Die Ruhe vor dem Sturm. Die letzten Besprechungen sind abgeschlossen, und die Delegierten sind bereit, ihre Resolutionen vorzustellen. Die Spannung im Raum ist fühlbar. Auf diese Sitzung wurde seitens der Schüler hingearbeitet, seitdem sie vor drei Tagen das erste Mal den internationalen Boden der Uno betreten haben.

"Die Teilnehmer schlüpfen drei Tage lang in die Rolle von Delegierten und diskutieren über aktuelle Themen. Jeder von ihnen repräsentiert ein Land, dessen Interessen dann in dem Komitee vertreten werden müssen" , erklärt Organisatorin Sonja Zeiler. Die "Vienna Schools' Model United Nations (VSMUN)" , die vom 18. bis 20. Mai in der Wiener Uno-City stattgefunden hat, ist ein Rollenspiel für Schüler, das ihnen ein besseres Verständnis der Uno vermitteln soll. Weltweit finden seit der Gründung 1991 jährlich über 400 Veranstaltungen dieser Art statt.

Delegierte aus aller Welt ...

2008 nahm eine Delegation des GRG 19 Billrothstraße an einer Model United Nations in Sardinien teil. Dieses Erlebnis veranlasste Zeiler, Lehrerin an der Billrothstraße, dazu, dieses Jahr auch in Österreich eine Veranstaltung zu initiieren. Die 118 Schüler kommen großteils aus Wien und Umgebung, einige haben aber auch den Weg aus Berlin angetreten. Für diese drei Tage jedoch sind sie Delegierte aus aller Welt.

"Jetzt können wir noch darüber reden, was wir selbst denken - später muss sich jeder bewusst sein, dass er über die Meinung des Landes spricht, das er vertritt, und nicht über die eigene" , eröffnet Zeiler die erste Debatte.

Dann wird der Ablauf der Komitee-internen Verhandlungen besprochen. "Ich hab das Gefühl, dass es uns durch die formale Sprache und die geregelten Abläufe leichter fällt, zu sinnvollen Resolutionen und Vorschlägen zu kommen" , meint Olivia Loibl (17). Trotzdem laufen die Gemüter heiß. Die Schüler merken, wie schwierig es sein kann, kulturelle Unterschiede zwischen manchen Ländern zu überwinden. "In unserem Komitee gab es große Meinungsverschiedenheiten zwischen europäischen und afrikanischen Delegierten, weil wir ganz andere Interessen vertreten" , schildert Laura Mann (15). Zahra Anjum (17) ergänzt: "Zum Beispiel wollten die europäischen Staaten nicht einfach Geld nach Afrika schicken, ohne kontrollieren zu können, wo es hinfließt. Wir haben diskutiert, ob die afrikanischen Staaten eine Transparenzerklärung unterschreiben müssen, damit die Geldflüsse nachvollziehbar werden, oder ob sie vom Westen nur Unterstützung in Form von Maschinen erhalten. Vor allem Simbabwe hat sich gegen diese Überlegungen gewehrt." Geeinigt hat man sich darauf, dass Mitglieder von NGOs Maschinen in Länder mit Wassernot transportieren und gemeinsam mit der Bevölkerung in Gang halten. Nach dem Motto: Hilfe zur Selbsthilfe.

Das Komitee "Afrikanischer Flüchtlingsstrom nach Europa - das Boot ist voll! Auch kein Platz für Menschenrechte?" kommt zu der Einsicht, dass man die Lösung des Flüchtlingsproblems in der Wirtschaft, der Politik und dem Bildungswesen der Länder suchen muss, aus denen die Menschen fliehen. Christian Schwarz (17) erklärt: "Die Problematik ist sehr komplex. Niemand will Flüchtlinge aufnehmen, aber sie brauchen trotzdem einen Platz. Eine ultimative Lösung wird es nicht geben, aber wir bemühen uns, die Situation zu verbessern."

Am dritten Tag steht dann die Generalversammlung an. Alle zehn Komitees haben ihre Resolution verfasst und stellen diese vor. Prostitution, Drogenhandel, der Schutz indigener Völker, Kinderarbeit, die Abholzung des Regenwaldes, die Trennung von Staat und Kirche, Steueroasen, Terrorismus, der Walfang und die Wassernot in Afrika werden thematisiert. Nach jeder Präsentation gibt es eine "Speech in favor" desselben Komitees und eine "Speech against" eines anderen.

... kämpfen gegen Terror

Umstritten war etwa der Vorschlag, finanzielle Unterstützung für Regionen mit Terrorismuspotenzial zu leisten. "Würde das den Terrorgruppen nicht nur mehr Geld zuspielen?" , fragte ein Komitee. Die verbesserte Infrastruktur könnte zur Steigerung der Lebensqualität führen und Terror langfristig vorbeugen, meinte das Terrorismus-Komitee.

Die Gruppe, welche das Thema Steueroasen behandelte, kritisierte, dass diese das Reinwaschen kriminellen Geldes ermöglichen und Korruption begünstigen würden. Bei begründetem Verdacht müsse eine Lockerung des Bankengeheimnisses verlangt werden, um nachvollziehen zu können, wer wann wie viel Geld "verschwinden" hat lassen.

Nach dem Voting sparten die anwesenden Experten nicht mit Lob. Der Jurist Wolfgang Weeber, Vorsitzender des Komitees "Kinderarbeit" , zeigte sich beeindruckt vom "gesunden Menschenverstand der Jugendlichen, der zu vernünftigen Ideen führt. Landesgrenzen sorgen hier viel weniger für Hindernisse zwischen den Menschen als in der Realität." (Alicia Prager, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.5.2010)