Vor fünf Jahren hätte beinahe die Demokratie in Äthiopien Einzug gehalten. Den Überraschungserfolg der Opposition konnte die Regierung von Äthiopiens Premier Meles Zenawi damals nur niederschlagen, indem Sicherheitskräfte fast 200 Oppositionsanhänger erschossen und hunderte weitere auf Lastwagen in Lager abtransportierten. Oppositionschefs wurden unter fadenscheinigen Gründen verhaftet und erst freigelassen, nachdem sie sich verpflichtet hatten, nie wieder politisch aktiv zu werden. Andere sind heute noch in Haft oder im Exil.

Diesmal hatte die Demokratie gar nicht erst den Hauch einer Chance. Dafür hat Zenawis Regierung in den vergangenen fünf Jahren gesorgt. Selbst den Anschein demokratischen Gebarens ließ der einstige Liebling des Westens inzwischen vermissen. NGOs wurden gegängelt, Journalisten verhaftet. Die letzten Oppositionsanhänger müssen fürchten, jederzeit als "Terroristen" verhaftet zu werden.

Die USA und die EU, die den Staat jährlich mit einer Milliarde Dollar finanzieren, sahen tatenlos zu, wie Zenawi seinen "Sieg" auf diese Weise systematisch vorbereitete. Niemand protestierte, niemand kürzte die Zuschüsse. Die dreiste Fälschung des Wahlergebnisses ist die logische Konsequenz aus dieser Tatenlosigkeit. Wenn in Äthiopien nicht bald Verhältnisse wie in Eritrea oder Nordkorea herrschen sollen, muss der Westen schleunigst den Mund auf- und das Portemonnaie zumachen. (Marc Engelhardt/DER STANDARD, Printausgabe, 27.5.2010)