Stefan Schleicher sieht im EU-Emissionshandel keine Impulse für klimaschonendes Wirtschaften.

Foto: Standard/Regine Hendrich

Mit der Fixierung auf Treibhausgas-Einsparziele setze die EU auf den falschen Zug, so Klimaexperte Stefan Schleicher. Besser sei es, in Forschung und Entwicklung zu investieren, erläutert er Johanna Ruzicka.

***


STANDARD: Was halten Sie davon, die EU-Klimaziele nachzuschärfen und statt 20 Prozent Treibhausgase minus weiter zu gehen - etwa auf 30 Prozent minus?

Schleicher: Ich bin ein Anhänger einer konstruktiven Klimapolitik, aber in diesem Fall gehöre ich zu denen, die meinen, dass das kein guter Schritt ist. Denn was wir als Nächstes brauchen, sind Anreize für Technologien, die die Klimaveränderungen vermeiden helfen. Die bisherige Erfahrung ist, dass dafür Ziele allein nicht ausreichen.

STANDARD: Ist das EU-Klimaregime mit Zielen für jedes einzelne Mitgliedsland also kein Erfolg?

Schleicher: Leider nein! Schauen Sie, was passiert! Überall in Europa werden neue Kohlekraftwerke gebaut, und Kohle ist ein viel größerer Treibhausgas-Verursacher als zum Beispiel Erdöl oder Erdgas. Auch die Kernkraft erlebt eine Renaissance. Eine Klimapolitik, die das bewirkt, ist keine gute Klimapolitik.

STANDARD: Wie sollte sie denn aussehen, die EU-Klimapolitik?

Schleicher:Bei der europäischen Diskussion geht es immer um Ziele. Um das Ziel, zu einem Zeitpunkt X um soundso viel Treibhausgase weniger zu emittieren. Es geht viel zu wenig um Technologien, beispielsweise im Bereich Energieeffizienz, Elektromobilität, Alternativ-Energien. Der Wettlauf der Technologien hat aber bereits begonnen, und da steht paradoxerweise die EU schlechter da als USA oder China.

STANDARD: Was machen die USA und China so viel besser?

Schleicher: Dort wurde genau erkannt, dass es sich bei den neuen Energietechnologien um Schlüsseltechnologien handelt. Die USA etwa sind führend bei der Entwicklung von Fotovoltaik und bei der Elektromobilität. Und China räumt überhaupt auf. Das Land ist mittlerweile Weltmarktführer bei der Produktion von Fotovoltaikkomponenten und bei Windkraftturbinen. China kauft sich, wenn notwendig, Know-how zu. So zuletzt mit einer skandinavischen Biomassetechnik-Firma. Die Diskussion in der EU dagegen ist total fixiert auf die Zielwerte. Wir haben noch nicht ausreichend realisiert, dass Europa den Technologiewettlauf zu verlieren droht.

STANDARD: Aber wir haben doch das größte Emissionshandelssystem mit Treibhausgasen in der Welt. Ist nicht zumindest dies eine Errungenschaft?

Schleicher: Leider nein. Es zeigt sich beispielsweise, dass der EU-Emissionshandel nicht flexibel genug ist, um sich auf die Wirtschaftskrise einzustellen. Die Preise werden nur mehr von den Händlern hochgehalten. Es gibt zunehmenden Konsens darüber, dass aus dem Emissionshandel zu wenig Impulse zur Treibhausgas-Reduktion bei Industriebetrieben entsteht. Damit aber ist ein wesentlicher Kern des Emissionshandels obsolet geworden. DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.5.2010)