Armin Rößler & Heidrun Jänchen (Hrsg.): "Die Audienz"

Broschiert, 214 Seiten, € 12,30, Wurdack 2010.

16 Kurzgeschichten für den 16. Band der Science-Fiction-Reihe des Wurdack-Verlags - die Bandbreite reicht von Besuchen auf anderen Planeten über die Auflösung dessen, was wir als Realität empfinden, bis zu Einblicken in eine ebenso nahe wie düstere Zukunft. Zum Ausgleich werde ich demnächst mal eine Anthologie vorstellen, die sich ausschließlich optimistischer SF widmet - aber erst einmal lesen wir, warum wir besser wie die Drachen Schätze horten sollten als treuherzig auf so etwas wie eine Pension zu warten. - Die für "Die Audienz" versammelten AutorInnen dürften zumindest denen, die gerne Anthologien und Magazine lesen, zum größten Teil bekannt sein; einige davon - etwa Karsten Kruschel oder das HerausgeberInnen-Duo - haben auch bereits einige Romane auf dem Konto.

Schwarzherzigen Spaß bereitet "Finja-Danielas Totenwache" von Nadine Boos, worin die Titelheldin zur Totenwache mit anschließender Wiederauferstehung im Klonkörper lädt. So versammelt sich also die in mehr als einem Sinne posthumane Verwandtschaft in Form von upgeloadeten Bewusstseinen und rejuvenierten Mumien, und die würdevolle Zeremonie geht im wechselseitigen Austausch von Gehässigkeiten allmählich den Bach runter. So langsam stellt sich für Finja-Daniela die Frage, ob sie überhaupt in dieses Klapperschlangennest wiedergeboren werden will. Was eigentlich nur zwei Schluss-Varianten zulassen sollte, doch Boos' Ende kommt überraschenderweise ... überraschend. - Komik bietet auch "Ein Schiff wird kommen" von Regina Schleheck, die die vermeintlich harmlose ältere Lady Juliet - eine Art interstellare Miss Marple mit einem Koffer voller Sexspielzeug - an Bord eines Kreuzfahrtraumers gehen lässt, das von wiederholten Zeitsprüngen durchgerüttelt wird. Dort wird Juliet einen Realitätsbruch der ganz besonderen Art erleben - keineswegs komisch gemeint hingegen der, unter dem die Titelheldin in Bruna Phlox' "Hör auf die Wahrsagerin, Nishka!" leidet. Sie pendelt zwischen einer armseligen Existenz im Realroom und rasendem Stillstand in der virtuellen Welt. Hat was von in den Cyberspace verlagerter Pop-Literatur: Tempo, Tempo, Tempo, Konsum, Konsum, Konsum - und dahinter gähnt der Abgrund der vollkommenen Einsamkeit.

Schleheck steht in der Anthologie mit ihrer Krimi-Vorliebe übrigens keineswegs alleine da: Ermittelt wird unter anderem auch in Sachen Mord an einem Serienmörder in Kai Riedemanns grimmiger Erzählung "Ich töte dich nach meinem Tod" oder Verschwinden eines jungen Richniks in "Ausgespielt" von Christian Weis - routiniert á la Freitagabend-TV inklusive klassischen Sätzen wie "Ab sofort wird nach meinen Regeln gespielt!". - Andreas Flögel schließlich zeigt in "Lod, Lad, Chine", dass selbst in einer fernen sterilen Zukunft, in der sämtlicher Körperkontakt unterbunden wurde, das Undenkbare geschehen kann: Jemand ist ermordet worden, und der Verdacht fällt auf einen Sex-Roboter. Ausbaufähige Idee.

Eine ökologische Note weisen die extraterrestrischen Erzählungen auf, die sich allesamt um die Konsequenzen drehen, die das Eindringen von Organismen in einen fremden Lebensraum hat. In Heidrun Jänchens "Kamele, Kuckucksuhren und Bienen" rätseln ExobiologInnen auf einem Planeten ohne Tiere über das Vorhandensein von Pflanzen, die eigentlich Tiere zur Vermehrung bräuchten. Armin Rößler schildert eine Ereigniskette, die sich auf dem Waldplaneten Bayo in Gang setzt, als der Pilot eines Löschflugzeugs gegen seinen Willen Passagiere an Bord nehmen muss. - Und dass ein Neuanfang nicht das gleiche sein muss wie ein Happy End, beweist Christian Günther, der es irgendwie geschafft hat sich die Domain Cyberpunk.de zu sichern, in seiner Geschichte "Der geborgte Himmel" über eine aufgegebene Marskolonie. - Die inneren Gebirge auf Orange rüsteten sich, schauderhaft zu werden: Schöner Satz. Denn die beste der vier Geschichten kommt von Karsten Kruschel. "Ende der Jagdsaison auf Orange" handelt von einem Planeten im Besitz eines Familienunternehmens, das ebenso konsequent dessen genetische Ressourcen ausbeutet, wie es auf "Wilderer" Jagd macht. Die Lebensformen auf Orange, die an Land gestiegener Meeresfauna ähneln, machen zahllose Metamorphosen durch - und diese bleiben nicht auf die einheimischen Spezies beschränkt: Wie schon in seinem Roman "Vilm" stellt Kruschel statt wechselseitiger Zerstörung die Synthese in den Mittelpunkt.

Zwei Frauen, eine Dystopie: Vom Ende des Sozialstaats berichten sowohl Andrea Tillmanns ("Hitze") als auch Karla Schmidt ("Lebenslichter"). Tillmanns wirft einen lakonischen Blick in die nicht allzuferne Zukunft Deutschlands - ihre Protagonistin, eine patente Rentnerin, meistert vorerst sämtliche Herausforderungen wie Stromrationierungen, steigende Preise und Mangel an allem; aber der Niedergang schreitet voran. - Schmidt geht von ähnlichen Voraussetzungen aus und würzt ihre Geschichte aus einer verfallenden Welt mit vielen glaubwürdigen Details. Sowohl für die Gesundheitsinspektorin Mara als auch den illegal in Deutschland lebenden jugendlichen Kleinkriminellen Vadim ist tägliches Durchwursteln angesagt. Da fallen ihnen zwei nahezu magische Gegenstände in die Hände: Eine polizeiliche Datenbrille, mit der man sämtliche Informationen über die Menschen, denen man begegnet, abrufen kann - und ein Computer, der selbst die teuersten Waren gratis abbucht. "Lebenslichter" ist eine Art melancholisches Märchen - und Karla Schmidt, die für ihre Erzählung "Weg mit Stella Maris" (hier der Rückblick) den Deutschen Science Fiction Preis erhielt, beweist einmal mehr, dass sie eine glänzende Autorin ist.

Ein letztes Highlight schließlich noch, alleine schon aufgrund der originellen Idee, ist die Geschichte "Auslese" von Jakob Schmidt. Protagonistin Anja gehört zu den Menschen, denen der Besuch eines Fleischengels bevorsteht: Nicht-irdischen Wesen, die sich aus Rissen im Raum auf Menschen mit Krebstumoren stürzen - aus ernüchterndem Grund. In schnörkelloser Weise werden hier philosophische Fragen der kleineren Art aufgeworfen: Zum Beispiel was der Sinn des Lebens (nicht nur des individuellen, sondern des Lebens an sich) ist, und ob man sich seiner Bestimmung fügt oder widersetzt. Anja gibt die Antwort mit ihrer Spattergun.

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Paolo Bacigalupi: "The Windup Girl"

Broschiert, 300 Seiten, Night Shade Books 2010.

Glück gehabt! Jedes Jahr picke ich mir aus den Nominierungslisten für "Hugo" und "Nebula" ein, zwei thematisch vierlsprechend klingende Romane raus - diesmal hab ich endlich den Gewinner erwischt.

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