"Zurzeit schaut das oft so nach Gnadenakt aus: die Lehrkraft möchte auf Fortbildung fahren und die Schulleiterin erlaubt ihr das", Bildungsexperte Mayr über das derzeitige Lehrfortbildungs-System.

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"Schaffner und Lokführer schreiben keine Postings", so erklärt der Johannes Mayr vom Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung den Unterschied zwischen den Reaktionen von Lehrern und Eisenbahnern auf die Kritik ihres Berufsstandes. Im Interview schlägt er ein neues System der Lehrerfortbildung vor und appelliert für Änderungen beim Dienstrecht. 

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derStandard.at: Die TALIS-Studie, hat ergeben, dass sich 97 Prozent der Lehrer fortbilden. Kann man daraus jetzt schon schließen, dass die Lehrerfortbildung in Österreich funktioniert?

Mayr: Das wäre ein gewagter Schluss. Zum einen darf man nicht vergessen, dass es sich bei TALIS um Selbsteinschätzungen der Lehrpersonen handelt. Das heißt, man muss davon ausgehen, dass die Antworten in Richtung sozialer Erwünschtheit „geschönt" sind. Zum anderen bedeutet es bestenfalls, dass sich sehr viele Lehrer fortbilden. Die grundsätzliche Bereitschaft sich fortzubilden, ist aber vermutlich nicht das Problem.

derStandard.at: Was ist dann das Problem?

Mayr: Mir scheint das Problem darin zu bestehen, dass zwar relativ viele Lehrer Fortbildungen besuchen, dass es sich dabei aber um sehr kurze Fortbildungen handelt. Wenn Sie sich da das Programm der Pädagogischen Hochschulen anschauen, dann finden Sie sehr viele Veranstaltungen die einen Nachmittag dauern, allenfalls zwei oder drei Tage und das war es dann.

Man weiß aber aus der Lehrerbildungsforschung, dass wirksame Fortbildungen dadurch charakterisiert sind, dass sie die TeilnehmerInnen über mehrere Monate hinweg in Lernaktivitäten verwickeln. Sie bestehen aus mehreren geblockten Veranstaltungen mit Präsenzcharakter. Dazwischen probieren die Lehrkräfte an ihrer Schule neu Gelerntes aus und reflektieren mit Kollegen ihre Erfahrungen, um diese dann wieder in den Kurs einzubringen. Dieser Mix scheint eine notwendige Bedingung zu sein, dass wirklich dauerhafte Verhaltensänderungen hin zu besserem Unterricht stattfinden.

derStandard.at: Ist diese Art der Fortbildungen im jetzigen System überhaupt möglich?

Mayr: Das ist möglich, und es gibt auch viele Lehrpersonen, die solche Fortbildungen absolvieren. Das erfordert natürlich von diesen Lehrkräften einen erhöhten Aufwand und Durchhaltevermögen, und sie brauchen Kollegen und eine Schulleitung, die ihr Vorhaben unterstützen. Für den Alltagsbetrieb an der Schule ist es wesentlich einfacher, wenn ein Lehrer um 16 Uhr zu einer Veranstaltung an die Pädagogische Hochschule fährt, die um 19 Uhr endet. Dann entfällt nämlich kein Unterricht. Schon wenn ein Lehrer einen Ein-Tages-Kurs macht, bedeutet das für die Kolleginnen und Kollegen, dass sie gratis supplieren müssen. Und der Administrator oder die Schulleiterin sind dafür zuständig, diese Supplierungen zu organisieren und haben ebenfalls einen Mehraufwand. Auch der Unterrichtsertrag ist bei Ersatzunterricht meist geringer. Die Tendenz, diese Komplikationen zu vermeiden, ist daher sehr stark.

derStandard.at: Wie kann man dieses Problem lösen?

Mayr: Ich glaube, man müsste das breiter anlegen. Es ist ja im Gespräch, ein neues Lehrerdienstrecht zu etablieren. Bei den Pflichtschullehrern gibt es bereits ein Jahreszeitarbeitsmodell, das glaube ich, vom Ansatz her eine gute Lösung darstellt. Dabei ist eine gewisse Anzahl von Arbeitsstunden - das sind an die 1800 pro Jahr - definiert. Ein gewisser Prozentsatz davon entfällt auf das Unterrichten, ein anderer auf die Zeit für die Vorbereitung des Unterrichts. Die verbleibenden Stunden sind in Absprache mit der Schulleitung für Schulentwicklung, Elternarbeit und eben auch für Fortbildung nutzen.

derStandard.at: Wenn man für alle Lehrer ein einheitliches Dienstrecht verabschieden würde, dann würde das auch der Fortbildung helfen?

Mayr: Ich denke, dass das helfen würde, weil es das Lehrerbild ein Stück von der Mentalität und von der öffentlichen Wahrnehmung wegführt „Lehrer halten ihren Unterricht, dann verlassen sie die Schule und haben den Rest des Tages frei". Ein Dienstrecht, das die gesamte Bandbreite der Lehrerarbeit berücksichtigt, würde einen flexibleren Personaleinsatz ermöglichen und den Lehrerberuf zu einem „normalen" Beruf weiterentwickeln helfen. Das müsste dann aber auch die Ferienzeiten mit einbeziehen, speziell was die Fortbildung betrifft. Solange man bei der Vorstellung bleibt, immer wenn Schülerinnen und Schüler nicht an der Schule sind, haben Lehrkräfte Urlaub und die Schulleitung hat keinen Zugriff auf sie, greift eine Dienstrechtsreform nicht wirklich.

derStandard.at: Das heißt, Sie würden die Ferienzeiten der Lehrer und Lehrerinnen kürzen?

Mayr: Kürzen ist der falsche Begriff. Wenn man davon ausgeht, dass die Jahresarbeitszeit von Lehrern rund 1800 Stunden beträgt, dann verbleibt ohnehin ein Urlaubspensum wie bei anderen Dienstnehmern auch. Der Urlaub wird derzeit nur auf etwas eigenwillige Art konsumiert: Es wird davon ausgegangen, dass Lehrpersonen während des Schuljahres wesentlich mehr als vierzig Stunden pro Woche arbeiten, im Gegenzug haben sie dann in den Schulferien weitgehend frei. Da würde ich mir mehr Flexibilität wünschen, bei Wahrung aller Freizeitansprüche. Aber diese müssten nicht zur Gänze genau in den Schülerferienzeiten konsumiert werden. 

derStandard.at: Bei der Veröffentlichung der Analyse der TALIS-Studie bezeichneten Lehrervertreter die Meldungen als „Kampagne". Warum reagieren Lehrer oft so emotional auf Kritik?

Mayr: Man erwartet von Lehrkräften zu Recht eine besondere Sensibilität für die Anliegen der Schülerinnen und Schüler, und sie haben diese Sensibilität offensichtlich auch, wenn es um ihre eigenen Anliegen geht. Mir fällt aber auch keine andere Berufsgruppe ein, zu der es vergleichbare internationale Studien gibt, über die dann so breit und mit oft selektiv negativem Tenor berichtet wird. Und die Lehrer und deren Vertreter halten die Diskussion ihrerseits durch Kommentare am Köcheln. Speziell die AHS - Lehrer sind es gewohnt, sich zu artikulieren. Das ist womöglich der Unterschied zu Polemiken über die Pensionsregelungen von Eisenbahnern: Schaffner und Lokführer schreiben keine Postings.

derStandard.at: Sollte es Ihrer Ansicht nach mehr Planung der Fortbildung und über ihren Inhalt geben?

Mayr: Im Nationalen Bildungsbericht 2009 haben mein Koautor, Georg Neuweg, und ich vorgeschlagen, dass man die Entscheidung über die Fortbildungsmittel auf verschiedene Player verteilt. So könnte die Schulverwaltung bei den Pädagogischen Hochschulen Fortbildungen bestellen, die im überregionalen Interesse liegen. Ein zweiter Teil des Geldes sollte an die Schulen gehen, wo vor Ort festgelegt wird, welche Entwicklungsnotwendigkeiten an der Schule bestehen und welche Fortbildungen dafür benötigt werden. Ein dritter Teil könnte an die einzelne Lehrperson fließen, die dann in Abstimmung mit der Schulleitung entscheidet, was sie persönlich für ihre Weiterentwicklung braucht.

Diese Verteilung könnte einen Mix ergeben, der in Summe eine angemessene Balance von Steuerung und Freiheit garantiert. Zurzeit schaut das oft nach einem Gnadenakt aus: die Lehrkraft möchte auf Fortbildung fahren und die Schulleiterin erlaubt es ihr. Fortbildung sollte dagegen eine positive Perspektive bekommen: für das Bildungswesen, für die betreffende Schule und für die einzelne Lehrperson. (Lisa Aigner, derStandard.at, 26.05.2010)