Bild nicht mehr verfügbar.

Nach dem Vorstoß von Wissenschaftsministerin Beatrix Karl geht das Katz-und-Maus-Spiel um die Einführung einer gemeinsamen Schule für die Zehn- bis 14-Jährigen in die nächste Runde - mit unveränderter Rollenverteilung zwischen Gut
und Böse.

Foto: Reuters

Gymnasium für alle versus Skandal, ständische Zweiteilung versus Einheitsbrei, Schilcher versus Neugebauer, Tom versus Jerry. Die Schlachtrufe sind gebrüllt, die Truppen aufgestellt. Und wie das nun einmal so ist bei einem anständigen Krieg, ist bereits nach kürzester Zeit völlig uninteressant, worum es inhaltlich eigentlich geht. Das erste, was im Krieg stirbt, ist die Wahrheit. Diese alte Weisheit gilt auch für ideologische Kriege.

Wer hinter die Front blickt, kann dort einige interessante Details erkennen und eventuell sogar ein paar Schlüsse ziehen. Zunächst einmal könnte auffallen, dass es nicht, wie der naive Beobachter vielleicht annehmen würde, nur die bösen AHS-Lehrer sind, die ihre Hofratstöchterln und Anwaltssöhnchen klarerweise in Ruhe weiter unterrichten wollen, ohne dabei von Arbeiterkindern gestört zu werden. (Anmerkung am Rande: In der 1. Klasse Gymnasium, die der Verfasser dieser Zeilen unterrichtet, sitzt genau ein Akademikerkind.) Nein, es sind auch und vor allem die Vertreter der Pflichtschullehrer, die sich gegen die Idee der Ministerin stellen. Woran könnte das liegen?

Das zweite interessante Detail ist das (auch im STANDARD bereits erwähnte) Faktum, dass keineswegs nur die (wir wissen es schon: bösen) schwarzen Gewerkschafter, sondern erstaunlicherweise auch die sozialistischen Lehrervertreter der gemeinsamen Schule mehr als kritisch gegenüber stehen, obwohl sie doch von ihrer Ideologie her begeistert dafür sein müssten. Wo ist da die Logik?

Und schließlich kann man sich einmal den Spaß machen und ganz gezielt Lehrer befragen, die bewusst nie einer Gewerkschaft beigetreten sind, zum Beispiel weil sie den Neugebauer-Riegler-Stil einfach nicht aushalten - man wird entdecken, dass auch unter diesen nicht Gehirngewaschenen die Skepsis überwiegt, sobald das Thema einheitliche Schule aufkommt. Man müsste also korrekterweise stets darauf hinweisen, dass nicht die "Lehrergewerkschaft", sondern ein Großteil der Lehrer, unabhängig von Weltanschauung und Schultyp, von den heterogenen Klassen, die Schulexperte Bernd Schilcher (der sie ja nicht unterrichten muss) ebenso wie sein Kollege Karl Heinz Gruber im STANDARD so schwärmt (21./25. 5.) alles andere als begeistert ist.

Der Grund für diese Skepsis scheint mir in den Erfahrungen in der täglichen Praxis einerseits und der Kenntnis der österreichischen Politik andererseits zu liegen. Dass eine gezielte Förderung jedes einzelnen Schülers und jeder einzelnen Schülerin eine tolle Sache wäre, ist allen Lehrern klar. Genauso klar ist aber auch, dass das ganz einfach viel Geld kosten würde, sehr viel Geld. Wenn ich meine 1. Klasse Gymnasium betrete, in der 29 Schüler auf mich warten (leider nicht 25, wie das Ministerium seit Jahren lauthals verkündet), weiß ich, dass fünf davon in der bevorstehenden Stunde so ziemlich ohne meine Hilfe allein produktiv arbeiten könnten, sechs nur wenig Unterstützung brauchen, 15 quasi "normal" betreut werden müssten und drei spezieller Zuwendung bedürften. Das ist auch mit perfekter Vorbereitung nur sehr unzureichend zu machen. Wenn aber unter diesen 29 jetzt noch sechs Schüler wären, die nicht ausreichend lesen könnten oder Schwierigkeiten mit dem Deutschen (oder auch der eigenen Muttersprache) hätten, wäre der Unterricht endgültig unmöglich. Entweder die Langsamen bleiben auf der Strecke (egal ob mit oder ohne Noten übrigens) oder die Schnellen langweilen sich zu Tode.

Ist die Lage also aussichtslos? Keineswegs. Man müsste nur die Gruppen verkleinern. (Die sogenannten Experten, die behaupten, die Klassenschüleranzahl sei für den Lernerfolg völlig egal, mögen nur einmal nachweisen, welchen Sprachkurs mit 29 Teilnehmern sie im Laufe ihres Lebens besucht haben.) In Vor-Gehrer-Zeiten gab es etwa noch sinnvolle Sprachteilungen, da wurde Englisch mit 15 Schülern unterrichtet. Bei solchen Gruppen kann man sich sehr gezielt um Kinder bemühen, die gefördert oder gefordert werden wollen. Wie wichtig die Gruppengröße ist, zeigen z.B. auch die Wahlpflichtfächer in der Oberstufe des Gymnasiums. Dort erreicht man mit Gruppen um die zehn Schüler tolle Ergebnisse. Leider sind die Wahlpflichtfächer aber immer wieder unter Beschuss - weil sie viel Geld kosten. Geld würden auch sinnvolle Klassengrößen kosten, und dass dieses im Zuge einer Umgestaltung des Schulwesens investiert werden würde, wagt der gelernte Österreicher zu bezweifeln. Aus diesem Zweifel resultiert der massive Widerstand der Lehrerschaft, die eine weitere Verschlechterung der Situation befürchtet.

Eine seriöse Ankündigung von seiten der Politik könnte nur lauten: "Ich will ein Gymnasium für alle und bin bereit, dafür soundsoviel Milliarden in die Hand zu nehmen. Das ist auch mit dem Finanzminister abgesprochen." Gegen so eine Ankündigung würde wohl auch die sogenannte Betonfront der Lehrergewerkschaft zu bröckeln beginnen - und zwar zurecht. Wer allerdings nur "Gymnasium für alle", "Neue Mittelschule" und ähnliches schreit, ohne ernsthafte Kostenschätzungen vorzulegen, darf sich nicht wundern, wenn er von der in der Schulpraxis stehenden Lehrerschaft nicht ernst genommen wird. Tom und Jerry nimmt ja auch niemand ernst. (DER STANDARD-Printausgabe, 26.5.2010)