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Magnago trat stets gegen rechte Rülpser auf. Wie im STANDARD-Interview vom Oktober 1993. Damals räsonierte ein SVP-Mann über das "Vergasen" von Roma.

Foto: APA/SVP

Er verkörperte mit seiner persönlichen Integrität einen Politikertypus, der nicht nur in Südtirol selten geworden ist

Wie viele Politiker von Format können in der Gewissheit abtreten, ihr politisches Lebensziel zu 100 Prozent verwirklicht zu haben? Zu den wenigen gehört zweifellos Silvius Magnago – auch wenn seine Karriere kaum erfolgversprechend begann.

1914 in der damaligen k. u. k. Kurstadt Meran als Sohn eines Trentiners und einer Vorarlbergerin geboren, trat er 1948 als Kandidat zur Parlamentswahl an – und fiel prompt durch. Aber solche Rückschläge pflegte der Kriegsinvalide, dessen hagere Figur sich stets auf zwei Krücken stützte, scheinbar unbeeindruckt wegzustecken. Magnago war Schlimmeres gewohnt – er absolvierte als deutschsprachiger Südtiroler sein Jusstudium im faschistischen Italien (Abschluss in Bologna 1940) und verlor als deutscher Soldat an der Ostfront ein Bein.

"Los von Trient"

Seine politische Laufbahn begann er als Vizebürgermeister von Bozen – in einer Zeit, in der das Pariser Abkommen, für dessen Verwirklichung er kämpfte, in Rom niemanden interessierte. Die vom Faschismus forcierte Zuwanderung von Italienern nach Südtirol wurde nach dem Krieg von der christdemokratischen Regierung unbeirrt fortgesetzt. 1957 wurde Magnago zum Obmann der Südtiroler Volkspartei gewählt. Dass er unter dem Motto "Los von Trient" die Schaffung einer eigenen autonomen Provinz forderte, schien freilich pure Illusion. Die starre Haltung Italiens begann sich erst zu ändern, als zu Beginn der Sechzigerjahre zahlreiche Anschläge auf Strommasten, Kasernen, Volkswohnbauten und Einrichtungen des italienischen Staates internationales Aufsehen erregten und Österreich den Fall Südtirol vor die Uno brachte.

Unermüdlich und in schier endlosen Verhandlungen versuchte Magnago Rom Zugeständnisse abzuringen. Dabei blieb er stets Realist. Dass er Sympathien für die Attentäter hegte, galt als wahrscheinlich. Offiziell wandte er sich stets gegen jede Gewalt. Ein Schwarz-Weiß-Bild aus jenen Jahren zeigt ihn so, wie ihn die Öffentlichkeit nicht kannte: Vom Druck der Ereignisse gezeichnet, das hagere Gesicht in die Hände vergraben, die Krücken an den Stuhl gelehnt.

Prestige für das Paket

In den schwierigen Jahren der Anschläge, der Folterung von Häftlingen und der Entsendung tausender italienischer Soldaten wurde Magnagos realpolitische Einstellung auf eine schwere Probe gestellt. Nur unter Einsatz seines persönlichen Prestiges konnte er die eigene Partei 1969 zur Annahme des von ihm ausgehandelten Südtirol-Pakets bewegen, zu dessen Gegnern auch der heutige Landeshauptmann von Südtirol, Luis Durnwalder, zählte.

Mit 34 Jahren Parteivorsitz stellte er einen Rekord politischer Langlebigkeit auf – ohne dabei auf politischen Anstand zu vergessen: Für die Anliegen der Kärntner Slowenen und ihre Forderung nach zweisprachigen Ortstafeln zeigte Magnago stets Verständnis.

"Silvius Magnago war Südtirol" , sagt sein Nachfolger Durnwalder. Dabei ist die Vergangenheit angebracht. Denn die persönliche Integrität, die Selbstlosigkeit und Redlichkeit Magnagos sind Charaktereigenschaften, die heute im Wohlstandsparadies Südtirol und in der massiv verschuldeten Sammelpartei nicht mehr zu den Tugenden zählen.

Der im Alter von 96 Jahren nach einem Sturz im Rollstuhl Verstorbene wird am Mittwoch im Bozner Landhaus aufgebahrt. Am Freitag findet seine feierliche Beisetzung statt. Von Bundespräsident Heinz Fischer und Kanzler Werner Faymann abwärts würdigte das offizielle Österreich den großen Tiroler in seltener Eintracht.

Reden an seinem Grab hätte Magnago mit Sicherheit abgelehnt oder mit feiner Ironie bedacht – ein Zug, den er mit seinem großen Gegenspieler Giulio Andreotti teilte. Der hatte 1972 den lange ersehnten Paket-Abschluss gewährt. Eigentlich habe er sich von Magnago irgendwann ein Danke erwartet, versicherte Andreotti schmunzelnd Jahre später. Dessen Motto kannte der sechsfache Regierungschef allerdings nicht: "Ich pflege nicht alles auszusprechen, was ich denke." (DER STANDARD, Printausgabe 26.5.2010)