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Die Köpfe hinter "Lost": Produzenten Damon Lindelof und Carlton Cuse.

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Ein letztes Abendmahl, dann ist endgültig Schluss: Die US-Serie "Lost" gibt Zuschauern seit 2004 Rätsel auf und wird deshalb hingebungsvoll verehrt.

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Seit Wochen sehnen und fürchten die Fans der Mystery-Serie Lost das Ende herbei. Sehnsucht plagt sie, weil die Spannung, wie sich nach sechs Jahren alles auflöst, kaum noch auszuhalten ist. Furcht peinigt sie, weil danach alles, wirklich alles vorbei ist und die Leere droht. So oder so: Sonntag endet Lost mit der endgültig letzten Folge The End. Zu Ende geht eine TV-Ära.

"Ich werde wahrscheinlich bittere Tränen vergießen", sagt die österreichische Filmemacherin Michaela Grill, "Lostie" der ersten Stunde. Auf ihrem T-Shirt steht "I Love Jack Shepherd". Das Ende des Serienhelden sieht sie pessimistisch: "Ich befürchte, dass sich Jack opfern muss und es zum großen Kampf zwischen Smokemonster und Jack kommt. Alle anderen sterben", hat sie wenig Hoffnung auf ein Happyend.

Dazu kommt, dass ein wesentlicher Teil des Kultes sich im Netz auf unterschiedlichen Plattformen abspielt. Dort laufen die "Losties" Gefahr, auf die unzähligen Spoiler zu stoßen: Gut informierte, aber unbarmherzige Zeitgenossen haben nichts Besseres zu tun, als auszuplaudern, wie die Serie ausgeht.

Öffentliche Events

Die Aufregung zum Finale ist beispiellos: US-weit läuft das Ende der Fernsehserie in ausgewählten Kinos. Fans können nach dem Finale Lost-Requisiten ersteigern. Seit Montag läuft im Web der Lostathon: Wer will, kann alle 120 Folgen am Stück schauen. In einer umfassenden Schau feiert die New Yorker Vilczek Foundation das kreative Talent. Vergangenen Samstag spielte Michael Giacchino zur vorletzten Folge in der Royce Hall von Los Angeles Lost live.

Jedes US-Medium, das auf sich hält, hat eigene Lost-Seiten im Web eingerichtet: New York Times, Washington Post, USA Today zelebrieren dort Rückschauen, in Diashows, Analysen und Blogger spekulieren sie lustvoll zum Ende.

Entertainment Weekly erscheint zum Abschluss mit den wichtigsten Lost-Darstellern mit zehn verschiedenen Titelseiten. Der Sender ABC macht ein Mordsspektakel: Samstag läuft noch einmal die erste Folge. Tags darauf folgt eine zweistündige Clipshow mit Rückblicken. Das Finale dauert üppige zweieinhalb Stunden. Zuschauer dürfen via Live-Chat trauern. Danach begrüßt Talker Jimmy Kimmel Schauspieler, Macher und Fans in Hawaii. Ein 30-sekündiger Werbespot kostet an dem Abend bis zu 730.000 Euro.

Sechs Jahre unterhielt Lost mit einem virtuosen Mix aus Mystery und Drama. In Rück-, Vor- und Nebenblenden schufen die Erfinder J. J. Abrams, Damon Lindelof und Carlton Cuse einen arg verwirrenden Handlungsparcours, deren letzte Details nicht einmal die Schauspieler selbst wissen durften.

Clevere Verweise

Die Zuschauer lieben das Rätselhafte und diskutieren in unzähligen Foren die cleveren Verweise auf Philosophie, Literatur, Film und Musik. Um die Geschichte der Überlebenden eines Flugzeugabsturzes formte sich schnell eine eigene Community, die längst die Handlung erweitert und vorantreibt: Hurley-Darsteller Jorge Garcias erklärt sich im Audioblog, ABC richtete unter www.thefuselage.com eine Fanseite ein, auf der Zuschauer sich mit den Serienstars austauschen. Drehortberichte liefert the-odi.blogspot.com. Lostpedia klärt nach Wikipedia-Stil auf. Nachrichten von der Insel schickt dispatchesfromtheisland.blogspot.com. Solche Leidenschaft brachte bisher nur die Star Trek-Community auf. Die Trekkies entdeckten ihre Jahre nach Raumschiff Enterprise.

Ersatz zeichnet sich nicht ab. Der Hoffnungsträger FlashForward erwies sich als Rohrkrepierer und wird nach nur zwei Staffeln abgesetzt. J. J. Abrams schickt mit Undercovers ein Agentenehepaar zum CIA.

Grill ist skeptisch, ob dies die Lücke wird füllen können. Allein das Sozialleben könnte sich von vielen dramatisch verbessern, wenn das Nummer-eins-Thema wegfällt, vermutet Grill: "Meine Freunde werden total aufatmen." (Doris Priesching, DER STANDARD; Printausgabe, 22./23./24.5.2010)