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Verweigerer verschließen die Augen vor politischen Inhalten. "Was die Verweigerer wirklich vermissen, sind Hintergründe, ist ein Erklär-Journalismus", sagt Autorin Nina Werlberger.

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Nina Werlberger: Verweigerer - Leben ohne Politik. 172 Seiten. Erschienen im Studienverlag. € 24.90. ISBN 978-3-7065-4873-1

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"Sie leben losgelöst, abgekoppelt von Politik. Sie konsumieren keine Nachrichten und klinken sich aus, wenn Menschen in ihrer Umgebung über Politik diskutieren." So beschreibt die Innsbrucker Politologin Nina Werlberger jene Gruppe von Menschen, über die sie ein Buch geschrieben hat: die Verweigerer. Warum sich 30 Prozent der Bevölkerung nicht für politische Inhalte in Medien interessiert und welche Schuld Politiker und Journalisten tragen, darüber sprach Werlberger mit derStandard.at.

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derStandard.at: In Ihrem Buch geht es um jene Gruppe von Menschen, die ein Leben ohne Politik führt. Diese Leute gehen weder wählen, noch lesen sie politische Inhalte. Oder wie ist das zu verstehen?

Werlberger: Verweigerer sind Menschen, die sich nicht für politische Inhalte in Medien interessieren. Sie sind aber nicht zu verwechseln mit Nichtwählern. Verweigerer leben losgelöst, abgekoppelt von Politik. Sie konsumieren keine Nachrichten und klinken sich aus, wenn Menschen in ihrer Umgebung über Politik diskutieren, sie haben einfach kein Interesse daran. Es muss nicht sein, dass es für das gesamte politische Spektrum gilt. Es kann sein, dass sich Menschen nur für internationale Politik überhaupt nicht interessieren. Oder, dass sie gewisse Nachrichtenformate nicht interessieren. Zum Beispiel Fernsehdiskussionen, da schalten sie sofort um.

derStandard.at: Was ist der Unterschied zwischen Verweigerern und Nichtwählern?

Werlberger: Es gibt unter Verweigerern politische Ideologen, die immer wählen, die aber bewusst keine Zeitung mehr lesen bzw. bewusst keine Fernsehnachrichten mehr ansehen. Auf der anderen Seite gibt es auch apolitische Stammwähler. Menschen, die aus einer Gewohnheit heraus wählen gehen, aber sich eigentlich schon lange nicht mehr für Inhalte interessieren. Verweigerer können auch Medienbeobachter sein, können zwei bis drei Zeitungen abonniert haben, und blenden aber politische Inhalte komplett oder teilweise aus.

derStandard.at: Das Verhalten der Verweigerer - ist das was Neues? Oder hat es solche Menschen, die sich einfach nicht dafür interessieren, was in der Zeitung steht, schon immer gegeben?

Werlberger: Im Prinzip hat es sie schon immer gegeben. Es gibt nur kaum Daten dazu. Ich habe herausgefunden, dass 30 Prozent der Bevölkerung politische Inhalte zur Gänze oder zumindest teilweise verweigern. Wegen des tendenziellen Anstiegs der Politikverdrossenheit ist davon auszugehen, dass auch die Zahl der Verweigerer steigen wird.

derStandard.at: Es hat Sie wahrscheinlich nicht überrascht, als vor wenigen Wochen ein Mitschnitt des Ö3-Mikromanns aufgetaucht ist, wo eine FPÖ-Funktionärin nicht einmal wusste, wer Werner Faymann ist?

Werlberger: Mich überrascht überhaupt nichts mehr. Es gibt Verweigerer quer durch alle Bildungsschichten: Es gibt Verweigerer unter Journalisten, selbst unter Politikern. Ein Gemeindepolitiker verweigert möglicherweise die Afghanistan-Berichterstattung und sagt, "das tu' ich mir nicht mehr an". Das Phänomen zieht sich auch durch alle Altersgruppen und Bildungsschichten. Frauen und Jugendliche tendieren eher dazu.

derStandard.at: Presse-Chefredakteur Michael Fleischhacker meint in einem Interview in Ihrem Buch, das Verhalten der Verweigerer sei zu begrüßen, es sei sogar ein "Zeichen von Intelligenz". Schätzen Sie das auch so ein, dass sich nur so die politische Kultur ändern kann?

Werlberger: Die Aussage hat schon was für sich. Auch Verweigerer beklagen ein Intelligenzdefizit bei den Politikern. Fleischhacker kritisiert das fehlende Niveau der handelnden Personen. Genau das ist etwas, was die Verweigerer massiv abstößt. Es herrscht ein tiefes Misstrauen in die Politik. Auch wird eine fehlende Betroffenheit beklagt.

derStandard.at: Sind also die Politiker schuld daran, dass 30 Prozent der Menschen die Politik verweigern?

Werlberger: Den einen Auslöser oder Schuldigen gibt es nicht. Gründe sind sowohl in der Politik, bei der Darstellung der Politik in den Medien, als auch bei den Bürgern selbst zu finden. Verweigerer kritisieren einen Mangel an Vertrauensfähigkeit und gleichzeitig einen Überschuss an Streit, Klatsch und Tratsch und Skandalen, die sie so nicht mehr wahrhaben wollen.

Die Medien stecken in einem Glaubwürdigkeitsdilemma. Die Verweigerer sehen Medien in einem Glaubwürdigkeitsdilemma. Dreiviertel aller Verweigerer halten Medienberichte über Politik für überhaupt nicht glaubwürdig.

derStandard.at: Was können Medien machen? Reicht es, über das Privatleben der Politiker zu berichten, um Zugriffszahlen zu steigern? Oder ist das gerade das Problem?

Werlberger: Genau das fördert Ablehnung, denn was die Verweigerer wirklich vermissen, sind Hintergründe, ist ein Erklär-Journalismus. Was sie nicht wollen, sind reißerische Überschriften oder inhaltsleere Meinungsmache. Sie rufen nach fundierten Meinungen, an denen sie sich orientieren können. Es ist ein Plädoyer für Qualität und das ist auch eine Chance für die Redaktionen.

derStandard.at: Armin Wolf berichtet im Buch, dass der ORF gegenzusteuern versuche, in dem er jüngere Formate macht, zum Beispiel die Info-Schiene auf ORF1 mit der ZIB 20. Macht so etwas Sinn?

Werlberger: Auf jeden Fall. Aus den Interviews mit den Verweigerern ist klar hervorgegangen, dass sie gewisse Formate vermissen. Junge Formate, Formate für Frauen. Das vermissen sie auch in Tageszeitungen. Das Problem ist aber, dass man das Machen von Politiknachrichten nicht komplett neu erfinden kann.

derStandard.at: Welche Chance sehen Sie durch die Neuen Medien um Verweigerer zu Befürwortern zu machen?

Werlberger: Ich wage es zu bezweifeln, dass das funktioniert. Vor allem weil die Professionalisierung diesbezüglich überhaupt noch nicht gegeben ist. Die Parteien sind relativ ratlos, wenn es um Online-Medien geht. Sie rüsten zwar auf und machen ihre Facebook-Seiten. Wirklich bewegt hat sich da bis jetzt aber noch wenig. Wie es in Zukunft sein wird, kann ich nicht sagen. Dass es hier Professionalisierung bräuchte, ist augenscheinlich.

derStandard.at: Parteien bewegen sich nicht richtig im Online-Umfeld.

Werlberger: Nicht dahingehend, Gruppen anzusprechen, die außerhalb von ihrem Spektrum sind. Die Menschen, die sich erreichen lassen, die erreichen sie schon. Verweigerer zu erreichen, die sich politikfernen Themen widmen, dürfte online aber fast noch schwieriger sein als in traditionellen Medien. Wenn mich etwas überhaupt nicht interessiert, kann ich das online sehr gut vermeiden. Das ist im Fernsehen und Radio schwieriger, weil man immerhin extra umschalten muss.

derStandard.at: Was sollen die Politik, die Medien jetzt ihrer Ansicht nach tun, damit wir es mit weniger Verweigerern zu tun haben?

Werlberger: Politiker könnten Konflikte und Streit anders darstellen. Außerdem durchschauen die Rezipienten Scheinevents und Inszenierungen in der Politik sehr wohl. Das ist etwas, das doch auch sehr verweigerungsfördernd wirkt. (derStandard.at, 25.5.2010)