Dass Wissenschaftsministerin Beatrix Karl jetzt einen Vorstoß für ein "Gymnasium für alle Zehn- bis 14-Jährigen" unternommen hat, war mutig. Klug war das Vorpreschen zum derzeitigen Zeitpunkt via Medien nicht - zumindest nicht auf den ersten Blick.

Die Reaktionen in der ÖVP fielen unerwartet heftig aus. Dass Parteichef Josef Pröll von einer "persönlichen Meinung" spricht, ist eine Zurechtweisung für Karl. Aber es ist keine völlige Zurückweisung. Auch Pröll weiß, dass sich die Volkspartei als Ganzes in dieser Frage bewegen muss - in Teilen hat sie es längst getan: Die Industriellenvereinigung, der Wirtschaftsbund und die Landwirtschaftskammer sind gegen die strikte schulische Trennung mit zehn Jahren.

Die erst seit fünf Monaten amtierende Wissenschaftsministerin kommt aus der Steiermark und ist als Wochenendpendlerin dort weiter verankert. Die steirische VP hat ihre Phobie gegen die gemeinsame Schule längst abgelegt, ihr Vordenker Bernd Schilcher propagiert diese Schulform auch öffentlich an der Seite der SP-Bildungsministerin Claudia Schmied.

Die OECD rät in ihren Studien Österreich seit Jahren zu einer Gesamtschule. Die frühe Aufteilung der Kinder in Haupt- und AHS-Unterstufe wirkt sich auf Österreich negativ aus. Die im internationalen Vergleich frühzeitige erzwungene Bildungsweg-Entscheidung reproduziert Ungleichheit. Die Trennung mit zehn Jahren gibt es so nur noch in Deutschland, das ähnlich schlecht wie Österreich bei der Pisa-Studie abschneidet. Auch wegen der gestiegenen Zuwanderung sind Änderungen im österreichischen Schulsystem überfällig: Migrantenkinder haben häufig zu wenig Zeit, um ihre Kompetenzen ausreichend zu entwickeln, damit sie auf das Gymnasium gehen können.

Nur die Lehrergewerkschaft in Österreich sieht keine Notwendigkeit, das derzeitige System auch nur infrage zustellen. Dass Pflichtschullehrer-Gewerkschaftschef Walter Riegler die Aussagen Karls als "ausgesprochenen Skandal" bezeichnete, ist der eigentliche Skandal. Dabei versuchen hunderte Lehrer jeden Tag, innerhalb des Systems Veränderungen herbeizuführen, unter teils hohem persönlichem Aufwand Spielräume zu nutzen und im Alltag vieles zu ermöglichen. An der Spitze wird aber weiterhin reflexartig die gemeinsame Schule als "linkes Retro-Bildungskonzept" (AHS-Lehrergewerkschafterin Eva Scholik) abgelehnt. Die Lehrergewerkschaft instrumentalisiert auch den ÖAAB. Die Frage ist, wie lange sich Parteichef Pröll noch von Neugebauer und Co vorführen lässt.

Karl hat mit ihrem Vorstoß Bewegung in die Debatte gebracht und damit auch den Druck auf die SPÖ erhöht. Im Hintergrund gibt es bereits Sondierungsgespräche zwischen ihr und Bildungsministerin Schmied. Es zeichnet sich ein Tauschgeschäft ab: Die VP bewegt sich beim Thema Gesamtschule (ob sie nun Neue Mittelschule oder Gymnasium neu oder wie auch immer heißt), die SP gibt ihren Widerstand gegen Beschränkungen beim Uni-Zugang auf. Die Freude in der SPÖ über Karls Vorstoß dürfte deshalb bald verfliegen, innerparteilich stehen wie in der VP heftige Debatten bevor.

Es macht Sinn, Schul- und Uni-Politik nicht als getrennte Bereiche zu sehen, es geht um ein Gesamtkonzept für den Bildungsbereich. Für diese Koalition und für diese Republik geht es um mehr: ob Reformen überhaupt noch möglich sind. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, Printausgabe, 21.5.2010)