Autor und Blogger Holm Friebe

Foto: derStandard.at/Türk

Vortrag beim Kaleidoskop der Beratergruppe Neuwaldegg

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"Was haben wir da eigentlich losgetreten", fragte der deutsche Autor, Blogger und Volkswirt, Holm Friebe bei seinem Vortrag im Rahmen des Forschergruppe-Kaleidoskops der Beratergruppe Neuwaldegg in Kooperation mit derStandard.at. Gemeint war der Begriff der "Digitalen Bohème", den Friebe gemeinsam mit Sascha Lobo im Buch "Wir nennen es Arbeit" geprägt hat. Die Idee dazu war im Café St. Oberholz in Berlin entstanden - "ganz ähnlich wie früher die Bohèmians aus dem Kaffeehaus heraus ihre Literatur produziert haben", so der Autor. Auch heute sitzen dort und in vielen anderen Cafés - wohlgemerkt mit WLAN-Anschluss - Menschen mit ihren Laptops und arbeiten, viele kennen keinen Büroarbeitsplatz. Fünf Jahre später dachte Friebe nun darüber nach, wie die Digitale Bohème die neue Lebens- und Arbeitswelt prägt.

Informelle Konstellationen

Als Digitale Bohèmians beschrieb der Autor jene "Fraktion der Arbeitsgesellschaft, die sich von den herkömmlichen Freiberuflern und Festangestellten abhebt." Für ihn ist es keine Lifestylekategorie sondern eine Form der Arbeitsorganisation mit den Werten Unabhängigkeit und Zeitautonomie. Meist gut ausgebildete Leute arbeiten in informellen Gruppenkonstellationen an ungewöhnlichen Orten zusammen. Dem Geldverdienen stünden sie naturgemäß nicht skeptisch gegenüber.

Friebe ist überzeugt: "Etwas Besseres als die Fixanstellung finden wir allemal" und die Zeiten der "Facetime" im Büro hätten ausgedient - für ihn nur "eine Illusion der Kontrolle für Vorgesetzte". Laut einer Erhebung des Gallup Instituts mache jeder zweite Arbeitnehmer nur Dienst nach Vorschrift. Das scheint widersprüchlich, kennt man die These des amerkanischen Glücksforschers mit ungarischen Wurzeln Mihaly Csikszentmihalyi, dem Erfinder des "Flowzustands": er sagt, der Mensch fühle sich am wohlsten bei der Arbeit. Dieses Gefühl soll für die Digitalen Bohèmians wieder stimmen, so Friebe. "Die Anfangsschwierigkeiten und finanziellen Startprobleme werden bei ihnen aufgewogen durch die Selbstbestimmung. Und zwei Drittel der neuen Bohèmians seien zufrieden mit ihrer eigenen Arbeitssituation, obwohl sie es - auch finanziell - nicht immer einfach haben.

Vorbild für Größere

Wie wird sich die Bewegung der Digitalen Bohème auf die Wirtschaft auswirken? Sind die Tage der Großorganisationen gezählt? Nicht unbedingt, so Friebe, in Zukunft werden größere Konzerne nach dem "Drei-Kleeblatt-Prinzip" arbeiten: Ein Blatt für das Management, eines für Spezialisten und eines repräsentiert eine "flexible workforce".

Auch größere Unternehmen haben laut Friebe die Idee der Selbstbestimmung aufgegriffen: Als Beispiele nannte er Google, den amerikanischen Elektroriesen Best Buy und das Weiße Haus in Washington, das seit heuer nach dem "results only"-Prinzip arbeitet. Analysen haben gezeigt, dass die Produktivität dadurch steigt. "Das hört sich alles einfach an, aber vielleicht ist das der Schlüssel", meinte der Blogger. Auch die Deutsche Bank verfolge ein neues Prinzip: 40 Prozent arbeiten als "resident people", 40 Prozent sind als "mobile people" viel unterwegs und 20 Prozent arbeiten, wann sie wollen. Friebe räumte aber auch ein, dass die Idee "dort wo die physische Anwesenheit von Menschen notwendig ist" an ihre Grenzen stoße. 

Kein Allgemeinrezept

Die Zuhörer bewegte nach dem Vortrag die Frage "Wie werde ich nun eigentlich zum Digitalen Bohèmian?" Geht das von heute auf morgen? "Nein", so Friebe hier sei schon auch Geduld gefragt, klein anfangen sei das zielführende Motto. Mit Paul Graham gesprochen, meinte Friebe: "To do what you love" - es sei gar nicht so einfach zu finden, was man eigentlich gerne tun möchte. Abseits von Business-Plänen sei es viel wichtiger von den eigenen Bedürfnissen auszugehen. Viele digitale Bohèmians stünden zu Beginn auf einem "Standbein" und einem "Spielbein" - ersteres diene dann als Brotjob. Auch wenn der Start nicht immer einfach sei, Friebe spricht heute auch der klassischen Fixanstellung wenig Sicherheit zu: die Arbeitgeber hätten den Deal "Loyalität gegen Sicherheit mit Verweis auf die Globalisierung aufgekündigt". (derStandard.at, 25.5.2010)