Ein Mahnmal gegenüber dem IST-Hauptgebäude erinnert an die Verbrechen der Nazis in der ehemaligen Nervenklinik.

Foto: STANDARD/Corn

Der neue Hörsaal gibt Lichtblicke.

Foto: STANDARD/Corn

Informatik, Mathematik und Biologie sind die Schwerpunkte der Top-Forscher-Schmiede. Noch steht ein Großteil des Gebäudes leer.

Foto: STANDARD/Corn

"Achtung! Fluchtdeckel freihalten", steht auf einem Schild, das vor einem Kanaldeckel im makellosen Rasen steckt. Das ist nicht nur erwähnenswert, weil es eine der raren Aufschriften im Campus ist, die nicht ins Englische übersetzt wurden, sondern auch, weil es zu so mancher ungewollter Assoziation anregt. Zum Beispiel erinnert es an Bedenken, dass die Top-Forscher, die ins stille Maria Gugging geholt werden, schnell wieder flüchten könnten, sollte ihnen eine andere Institution bessere Bedingungen bieten.

Tatsächlich ist die Atmosphäre sehr entspannt auf dem Gelände des Institute of Science and Technology Austria (IST), und es scheint auch niemand flüchten zu wollen. Vielmehr ist vorerst kein Mensch zu sehen - nur sattes Grün, ein paar Enten, die im Teich plantschen, zwei junge Falken, die über den Bäumen kreisen.

Eingebettet in die Hügel des Wienerwaldes, unweit der Bundesstraße, die von Klosterneuburg Richtung Tulln führt, liegen die strahlend weiß sanierten Gebäude der ehemaligen Nervenheilanstalt Gugging, gesäumt von einem neuerrichteten markanten Auditorium auf der einen und einem verglasten Rohbau des ersten Laborgebäudes auf der anderen Seite.

Ein Jahr nach Eröffnung des IST, das sich - dem mitunter heftigen Gegenwind trotzend - auf die Fahnen geschrieben hat, exzellente Grundlagenforschung nach Österreich zu holen, die sich mit renommierten Instituten wie Harvard, Oxford oder dem MIT messen kann, haben etwa 20 Wissenschafter aus aller Welt ihre Büros im Hauptgebäude bezogen.

An diesem Frühlingstag werden sie verstärkt durch eine internationale Schar von Informatikern, die sich zu einem zweitägigen, selbstverständlich hochkarätig besetzten Symposium versammelt haben. Die Stimmung ist locker, in Jeans und Sneakers schlendern die durchwegs jungen, männlichen Computerspezialisten in den Pausen zwischen den Vorträgen zur Cafeteria oder lassen sich mit ihren Laptops in einen der grauen Loungesessel im Eingangsbereich fallen.

Kunst und Computer

Darunter ist Pavol Cerny (30), Postdoc in der Gruppe von IST-Chef Thomas Henzinger. Vergangenen September ist der aus der Slowakei stammende Computerwissenschafter von Philadelphia nach Maria Gugging gezogen - in einen Ort 18 Kilometer außerhalb von Wien, der neben einer Wallfahrtskirche und dem Art/Brut- Center, wo die Kunst der psychiatrischen Patienten ausgestellt ist, nicht viel zu bieten hat - selbst das örtliche Wirtshaus schrammt ständig knapp am Konkurs vorbei.

"Ich genieße es hier", sagt Cerny, der in einem der "Startwohnungen" in der kleinen Siedlung wohnt, die sich samt einer Kapelle an den Hang drängen. "Ich gehe gern nach der Arbeit joggen." Restlos "begeistert" ist Christoph Kirsch von der Uni Salzburg, einer der Referenten des Symposiums: "Das ist das Beste, was Österreich passieren konnte. Hier kann man etwas Neues machen, ohne von alten, steifen Strukturen eingeengt zu werden."

Alt sind hier tatsächlich nur die Fassaden, und bei der derzeitigen Auslastung ist es alles andere als eng. Das Hauptgebäude mit seinen Gästezimmern im linken Trakt wirkt ein bisschen wie ein Designhotel: schlichte Formen, helles Holz, dunkler Steinboden. Alles strahlt noch die aufgeräumte, seelenlose Kühle eines Neubaus aus. Vorbei an Seminarräumen, deren Türschilder den Namen des jeweiligen Sponsors tragen, und durch Gänge mit schmucklosen Wänden, Umzugskartons und leeren Regalen, geht es in jenen Flügel, wo es Platz für etwa zwölf Forschungsgruppen theoretischer Disziplinen gibt.

Fünf Professoren mit Schwerpunkten in Informatik und Biologie haben bereits ihre Arbeit aufgenommen, bis Jahresende werden es elf sein, darunter mit der Insektenforscherin Sylvia Cremer auch die erste Frau. Der jüngste Zugang ist der Mathematiker Christoph Lampert, der zuletzt das Computer Vision Labor am Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik leitete. "Österreich ist ja nicht so sehr als Wissenschaftsland bekannt", sagt Lampert. "Es ist mutig, dieses Ziel aktiv erreichen zu wollen."

"Pionierstimmung"

Den 36-Jährigen hat vor allem die Gelegenheit gereizt, das Institut mitzuformen, unabhängig eine eigene Gruppe aufzubauen. "In der Hierarchie der Unis kann man als junger Wissenschafter kaum noch forschen - obwohl das die produktivsten Jahre wären." Lampert schätzt vor allem die "Pionierstimmung": "Man spürt den Glauben an die Wissenschafter, ohne sie ständig zu überprüfen." Um auch auf dem Campus zu wohnen, ist ihm die Lage "doch zu isoliert", weshalb er auf der Suche nach einer Wohnung in Wien ist.

Kein Problem mit der Abgeschiedenheit hat der Doktorand Simon Aeschbacher (29), der in der Gruppe des renommierten Evolutionsbiologen Nick Barton arbeitet und mit diesem von Edinburgh ans IST übersiedelte. "Die Bedingungen sind super, und ich bin schon total assimiliert", sagt der gebürtige Schweizer. "Ich mag die Natur." Als einer der "besten Köpfe", wie die IST-Forscher oft tituliert werden, will er sich nicht bezeichnet sehen: "Ich bin ein Mensch und arbeite nicht anders als ein Musiker oder Architekt."

Denn auch wenn sich das IST gern mit Attributen wie "von Weltrang", "herausragend" und "erstklassig" schmückt, mit dem im Vorfeld der friktionsreichen Gründung breitgetretenen Begriff Elite-Uni will man nichts zu tun haben. Ausgesiebt wird trotzdem: Von 100 Bewerbern aus 26 Ländern wurden zwölf Graduate Students erwählt, die im Herbst ihr PhD-Studium starten - angestellt und einer Forschungsgruppe zugeordnet. Dann werden insgesamt 65 Wissenschafter den Campus beleben und auch das Laborgebäude, das nach der überraschenden Spende von zehn Millionen Euro nach dem Mäzen Peter Bertalanffy benannt wird, für experimentelle Forschung nutzen können - wie auch einen Shuttlebus nach Klosterneuburg.

Bis 2016 soll das auf dem Reißbrett entworfene Spitzeninstitut, das 2002 erstmals von Quantenphysiker Anton Zeilinger erträumt wurde, bis zu 500 Wissenschafter in 50 Gruppen beherbergen. Dazu werden von Bund und Land Niederösterreich 420 Millionen Euro lockergemacht, wobei 95 Millionen von der Einwerbung von Drittmitteln in gleicher Höhe abhängig sind. Was dann kommt, wird auch durch die Eigendynamik der Forscher bestimmt werden. Für weitere angedachte Labors ist jedenfalls Platz genug. Vorerst bleiben hohe Erwartungen - und wenn schon eine Flucht, dann die nach vorn. (Karin Krichmayr/DER STANDARD, Printausgabe, 19.05.2010)