Puzzlearbeit im Marmorsaal des Hanghauses 2: Ein Forschungsteam fügt in einem aufwändigen Projekt Fundstücke in Ephesos mithilfe einer Software aneinander und zieht so die Überreste der Wandverkleidung wieder hoch.

Foto: Niki Gail / ÖAI

Eine besondere Art von Geschichtsforschung: Am Eingang von Ephesos haben die Forscher Überreste von Skeletten gefunden

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Die Archäologen erforschen hier aber weit mehr als das und fragen: Wie hat der Mensch der Antike in der Stadt und im Umland gelebt?

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Da liegt es also, das winzige, nur wenige Gramm schwere Fundstück, das ein Beweis dafür ist, dass schon der prähistorische Mensch vernetzt war. Die Wiener Archäologin Barbara Horejs erzählt vor der Vitrine im Ephesos-Museum von Selçuk, dass es sich dabei um eine Gewichtseinheit aus Syrien handelt, die sie bei Ausgrabungen auf dem Hügel Cukurici Höyük etwa einen Kilometer vor Ephesos gefunden hat. Inmitten einer prähistorischen Siedlung von Steinhäusern, die lange vor der antiken Metropole vor etwa 6000 Jahren entstanden sein muss und sicher bis ins dritte Jahrtausend vor Christus nicht aufgelöst oder zerstört wurde.

Das Gewicht, sagt Horejs, kann nur durch beste internationale Handelsbeziehungen auf den Hügel gekommen sein und wurde wahrscheinlich zum Abwiegen von Gold und Silber verwendet. Die Siedlung selbst ist für sie das "Missing Link" in der Geschichte des Neolithikums. Dieser gesellschaftliche Wandel von der Jäger- und Sammlerkultur zum sesshaften Bauern, der sich Tiere hielt und Pflanzen anbaute, begann im Orient und setzte sich in Griechenland fort. Dazwischen, also in Westanatolien, lag im historischen Atlas bisher unbekanntes Land. Der Fund wurde daher schon als "archäologische Sensation" bezeichnet.

Importierter Vulkanstein

Die seit 2007 laufenden Forschungsarbeiten haben viele Details zutage gebracht, die man in der Zusammensetzung in dieser Region bisher nicht kannte: Feuerstellen, an denen im dritten Jahrtausend vor Christus offenbar Kupfer verarbeitet wurde; Geräte, die aus dem importierten Vulkanstein Obsidian hergestellt wurden, Bruchstücke von Keramikgefäßen und Reste von Muscheln, die darauf schließen lassen, dass die Siedler das Meer als Nahrungsquelle nutzten. Lag der Cukurici Höyük damals vielleicht wesentlich näher an der Küste als heute? Horejs will über den Hügel noch viele derartige Rätsel mit Klimatologen, Zoologen, Botanikern, Geologen oder Physikern lösen und hofft auf eine weitere Finanzierung durch Gelder des Wissenschaftsfonds FWF, zumal geologische Bohrungen ergeben haben, dass hier "noch weitere Siedlungsablagerungen" zu finden sein dürften.

Ohne derlei Vorarbeiten passiert in der Archäologie schon lange nichts mehr, erzählen die Archäologen in Ephesos. Wenn sie Funde vermuten, vermisst Sirri Seren, türkisch-österreichischer Geophysiker der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien, den Boden mit Radar. Er verspricht, bis auf fünf Zentimeter genau sagen zu können, wie tief zum Beispiel die Überreste einer antiken Wohneinheit liegen und welche Struktur sie haben. Mithilfe einer Software kann er die gewonnenen Daten zu einem dreidimensionalen Bodenquerschnitt zusammenfügen.

Bizarrer Fund

Er war auch am Eingang der Stadt aktiv, wo einst der Hafen lag. Hier fanden die Forscher Bizarres: einen mindestens 40.000 Quadratmeter großen Friedhof, eine Nekropole, in der alle Verstorbenen mit wenigen Ausnahmen begraben werden mussten.

"Aus hygienischen Gründen", wie der oberösterreichische Archäologe Martin Steskal erzählt. Ihn interessieren dort vor allem die Rekonstruktion der Religions- und Sozialgeschichte von Ephesos anhand von Grabbeigaben der Leichen in einem Familiensarkophag: "So sehen wir, wann sich die Religion vom Heidentum zum Christentum geändert hat, zuerst mit vielen Grabbeigaben, dann mit keinen." Durch eine anthropologische Analyse der Skelette lässt sich auch feststellen, welche Ess- und Trinkgewohnheiten man in der Metropole hatte. Eine Arbeit, mit der man erst vor zwei Jahren aus einer Not heraus begann: Die Behörden befürchteten, den größten Friedhof der römischen Antike sukzessive an Grabräuber zu verlieren.

Die Arbeiten in der Nekropole oder in der prähistorischen Siedlung fügen sich ideal in das Konzept der kürzlich bestätigten Kärntner Grabungsleiterin Sabine Ladstätter.

Sie will nun, an ihren Vorgänger Friedrich Krinzinger anschließend, qualitative Aussagen über das Stadtleben und das ihres Umlands treffen, über die Infrastruktur, über soziale Unterschiede, den Handel, über Trink- und Speisesitten und nicht zuletzt über Moden. Das bedeutet eine Abkehr vom positivistischen Ansatz, dem bloßen Freilegen von Monumenten.

Bei einem Besuch von Wissenschaftsministerin Beatrix Karl im Hanghaus 2 in Ephesos erklärt Ladstätter, wie sich soziale Unterschiede gerade hier auf relativ engem Raum manifestiert haben. Wer durfte ins Zentrum, wer musste sich am Rande bewegen? Sie zeigt auf durch ein Erdbeben entstandene Bodenwellen in der Antike, die bis heute erhalten sind, und führt zum vielleicht aufwändigsten Puzzle, das Archäologen jemals begonnen haben: Im Marmorsaal wird die Verkleidung der Wände aus einer Vielzahl von Funden Stück für Stück zusammengefügt.

Das hier arbeitende Team verwendet eine Software der TU Wien, mit der bereits weniger ansehnliche Objekte erfolgreich zusammengesetzt werden konnten: zerschnipselte Stasi-Akten. Sie erkennt, welches der unzähligen Teile wohin passt. Innerhalb eines Jahres wurde schon ein großes Stück Marmorverkleidung rekonstruiert. Die Wände hier sind aber sehr hoch und werden wohl noch einige Jahre Arbeit in Anspruch nehmen. (Peter Illetschko aus Selçuk/DER STANDARD, Printausgabe, 19.05.2010)