Wenige Tage, nachdem ich seine Thesen in meinem Blog heftig kritisiert habe, hat Stephan Schulmeister einen ausführlichen Kommentar dazu im "Standard" veröffentlicht und ist dabei gleich auf einige meiner Einwände eingegangen.  Dies ist ein guter Anlass, noch einmal Schulmeisters Argumente nüchtern zu sezieren.

Das ist die Mühe (des Schreibens, und hoffentlich auch des Lesens) wert, weil der bekannte Wifo-Ökonom die Debatte in Österreich über Finanz- und Währungskrise stärker als jeder seiner Kollegen beeinflusst.

Zuerst das Gute: Schulmeister hat seine marktkritischen Meinungen schon zu Zeiten vertreten, als sie noch nicht modern waren. Er ist kein Fähnchen im Wind, sondern ein links-keynesianischer Fels in der Brandung.

Und frühzeitig hat er auf die potenzielle Gefahr des „Overshooting“ durch Spekulation hingewiesen, was zumindest am extremen Rand der konservativ-liberalen Schule der Ökonomie, die dem Markt immer Recht geben, nicht gesehen wurde. Massive, irrationale Fluktuationen sind äußerst unangenehme Begleiterscheinungen des freien Marktes.

Allerdings missversteht Schulmeister trotz seiner vielen Feldforschungen in Handelsräumen die Natur der Spekulation. Spekulation ist nie eine Einbahnstraße, sie geht immer in beide Richtungen. Wenn Spekulanten die Rendite auf griechische Staatsanleihen auf 13 Prozent hinauftreiben, indem sie die Papiere verkaufen, dann gibt es jemanden, der sie kauft – und darauf spekuliert, dass die Rendite wieder fallen wird. Da gleiche gilt für den Euro-Dollar-Kurs oder den Ölpreis.  

Das 750-Milliarden-Euro-Paket der EU war daher, wenn es gewirkt hätte, kein Schlag gegen die Spekulanten, bzw. ein Schlag gegen die eine Hälfte. Diejenigen, die auf fallende Anleiherendite gesetzt haben, müssen vergangene Woche zumindest kurzfristig gejubelt haben. Staatseingriffe sind oft genau das, was sich Spekulanten wünschen, denn sie sind schwer voraussehbar und erhöhen daher die Volatilität.

Diese Art des kurzfristigen Overshooting ist zwar störend, hinterlässt aber nur sehr selten nachhaltige Schäden. Denn diese drastischen Kursbewegungen korrigieren sich von selbst, sobald die Irrationalität offensichtlich wird – zum Schaden der Spekulanten. Als der Ölpreis im Sommer 2008 bei 148 Dollar pro Fass drehte, haben viele von ihnen viel Geld verloren. Auch die Spekulation gegen den Dollar(!) im Spätherbst 2008 erwies sich als Bumerang, als die US-Währung Dollar sich bald wieder erholte.

Das  viel gefährlichere Overshooting ist die Blasenbildung, die wir im Vorfeld der Finanzkrise erlebt haben. Für sie interessiert sich Schulmeister allerdings nicht – und das mit gutem Grund. Denn sie wird von Verschuldung getrieben, die Investments per Hebel („Leverage“) ermöglicht. Das war es, was die Finanzwelt in die Katastrophe getrieben hat, aus der sie noch nach Jahren nicht herausgekommen ist.

Einem überzeugten Keynesianer und Bruno-Kreisky-Fan wie Schulmeister allerdings fällt es schwer, gegen Schulden zu argumentieren; schließlich tritt er als Ausweg aus der Krise für eine weitere Anhebung der Verschuldung durch riesige Konjunkturpakete ein.  Das Einschlagen gegen Spekulation lenkt von diesem grundlegenden Dilemma, das Schulmeister wohl selbst bewusst ist, ab.

 Zum Thema Credit Default Swaps (CDS), den Kreditversicherungskontrakten, die Schulmeister ein besonderer Dorn im Auge sind. Sie haben sich tatsächlich als höchst destabilisierend erwiesen, aber nicht weil sie die Spekulation erleichtern, sondern weil sie den Banken erlaubt haben, Risiko aus ihren Büchern zu entfernen und damit das Leverage durch neue Kredite weiter zu erhöhen.

Doch im Gesamtsystem verschwand das Risiko nicht, sondern wurde nur verschoben, und nach und nach immer weiter erhöht.

Was Schulmeister übersieht (oder übersehen will, weil es ihm nicht ins Konzept passt), ist die Tatsache, dass der CDS-Markt in den Jahren 2002 bis 2008 am stärksten gewachsen ist, als es relativ wenig Volatilität im Markt gab, weil niemand die Risiken sehen wollte.

Die Gefahr ging daher nicht von Spekulanten aus, sondern von den Produzenten der CDS, vor allem dem US-Versicherungsriesen AIG, der in Verkennung der Risiken sich selbst völlig übernahm und am Tag der Lehman-Pleite mehr als 100 Milliarden Dollar an Verpflichtungen hatte, die er nicht erfüllen konnte.

 Für Währungsspekulationen sind CDS gar nicht notwendig. In der Asienkrise 1997/8 wurde heftig gegen Währungen spekuliert, heftiger noch als heute, ohne dass CDS irgendeine Rolle spielten. Ja selbst in dem von Schulmeister immer hoch gelobten Bretton-Woods-System gab es massive Währungsspekulationen gegen das britische Pfund, das zweimal den Rücktritt einer Regierung auslöste.  

Die Ursache von Währungskrisen sind fast nie die Spekulanten, sondern die Ungleichgewichte, die die Politik mit verursacht und der Markt nicht akzeptiert. Investoren, die ohne Grund gegen ein Land spekulieren, verbrennen sich die Finger (siehe etwa die Spekulation gegen den französischen Franc 1993 in der Spätphase der EWS-Krise)

Nun zu einem anderen Punkt: In meinem letzten Blog habe ich Schulmeister vorgeworfen, dass er für eine Zusammenlegung aller Euro-Staatschulden eintritt, ohne sich zu überlegen, dass dies politisch nur bei einer Zentralisierung der Fiskalpolitik aller beteiligten Staaten möglich wäre. Sonst müssten die Staaten, die ordentlich wirtschaften, für die anderen immer bürgen.

In einem (offenbar noch nicht veröffentlichten) Kommentar für die Berliner „taz“ hat Schulmeister vor wenigen Tagen dieses Dilemma folgendermaßen angesprochen: „Eine gemeinschaftliche Finanzierung würde den Zusammenhalt der Euroländer stärken, erfordert aber gleichzeitig eine effizientere Fiskalpolitik, die vom EWF (Europäischer Währungsfonds) zu überwachen ist.“

Entschuldigung, aber oberflächlicher kann man dieses Grundproblem der europäischen Wirtschaftspolitik kaum abhandeln.

Im „Standard“ hat er, vielleicht auf meinen Einwand hinaus, dass er hier keine Antworten hat, etwas präzisiert: „Dies erfordert eine nachhaltige Konsolidierung, koordiniert und überwacht vom EWF.“

Aber auch dies ist nicht mehr als ein Schlagwort, das nicht erklärt, wie Griechenland oder Spanien in Zukunft zu Budgetdisziplin gebracht werden kann, wenn Politiker und Interessensgruppen wissen, dass andere für die durch fehlende Disziplin verursachten Schulden haften.

Der Internationale Währungsfonds, das Vorbild für den noch nicht existierenden  EWF, kann dafür sehr wohl sorgen, indem er die weitere Auszahlung seiner Kredite an Staaten, die sich nicht an die Vorgaben halten, stoppt. Aber Schulmeister lehnt IWF-Auflagen ja grundsätzlich als neoliberales Folterwerkzeug ab. Außerdem würden einem EWF die Druckmittel, über die der IWF verfügt, fehlen, weil für die Schulden ja bereits gebürgt wird.

Ein wenig Verständnis für die politischen Hindernisse auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Politik würde einem so politisch denkenden Ökonomen wie Schulmeister auch ganz gut tun.

Auf die Schwierigkeiten, die Renditen für Staatsschulden einfach bei vier Prozent zu begrenzen und dann zu glauben, dass sich die Eurozone dennoch jederzeit refinanzieren kann, habe ich schon im letzten Blog hingewiesen.  In einem Email-Austausch habe ich Schulmeisters Ansatz als „Voodoo-Ökonomie“ bezeichnet, was George Bush Sr einst zu Recht über die Fiskalpläne Ronald Reagans gesagt hat (bevor er dessen Vizepräsident wurde).

Im „Standard“ greift Schulmeister das auf und behauptet: „Für neoliberale Ökonomen bedeutet mein Vorschlag "Voodoo-Ökonomie": staatliche Lenkung statt unsichtbarer Hand.“

Aber diese Antwort zielt am Punkt vorbei: Natürlich kann der Staat jederzeit eingreifen, aber die Frage ist, ob der Eingriff zielführend und sinnvoll ist.

Wenn man in einer Stadt, wie es die AK dauernd fordert, im Interesse des günstigen Wohnens die Mieten auf niedrigem Niveau begrenzt, dann schafft man entweder eine Wohnungsnot oder einen Schwarzmarkt für Ablösen, der erst recht wieder die Wohnungssuchenden belastet.

Das Gesetz von Angebot und Nachfrage kann auch staatliche Lenkung nicht außer Kraft setzen, sonst hätte die kommunistische Planwirtschaft funktioniert.

 Wenn die EU erzwingen will, dass die Staatsdefizite mit niedrigen Zinsen finanziert werden, dann muss sie dafür sorgen, dass die Ersparnisse der Bürger nicht ins EU-Ausland fließen. Das erfordert rigide Kapitalverkehrsbeschränkungen, die meiner Meinung nach – und wohl der Mehrheit der Banker, Unternehmer und Sparer - weder sinnvoll noch machbar wären.

Mein Vorwurf an Schulmeister: Wenn er schmerzlos – quasi per Zauberstab -  für niedrige Zinsen auf griechische Schulden sorgen will, dann betreibt er Voodoo-Ökonomie.

Als Vorbild schwebt Schulmeister stets das Bretton-Woods-System vor. Damals gab es solche Kapitalverkehrsbeschränkungen, die allerding im Laufe der sechziger Jahre immer weiter gelockert wurden – nicht weil, wie Schulmeister behauptet, die neoliberalen Ökonomen sich durchgesetzt haben (das kam erst in den siebziger Jahren), sondern weil angesichts des wachsenden Welthandels diese Beschränkungen immer lästiger und weniger wirkungsvoll wurden.

Im Zusammenspiel mit den rasant gewachsenen Ungleichgewichten zwischen Europa und den USA ist das Bretton-Woods-System an diesen Kapitalströmen dann zerbrochen, trotz aller Staatsinterventionen, die in dieser Zeit versucht wurden. Doch mit dem Kollaps von Bretton Woods setzt sich Schulmeister in seiner Arbeit offenbar nicht auseinander.

Das ist schade, denn dann müsste er seine etwas oberflächlichen Lösungsvorschläge etwas differenzierter argumentieren. Aber statt sich mit den vielen Komplexitäten, Widersprüchen und unerwarteten Konsequenzen ökonomischer Theorien zu beschäftigen, betreibt Schulmeister lieber ideologisch motivierte Schwarz-Weiß-Malerei – genau das, was er seinen Feindbildern, den neoliberalen Mainstream-Ökonomen, ständig vorwirft.