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Abrüsten und sich besser kennenlernen. Die Premiers Giorgos Papandreou und Tayyip Erdogan am Freitag in Athen.

Foto: Reuters/Karahalis

Die Entspannungspolitik der 1990er wird ausgebaut, und Territorialstreitigkeiten sollen beendet werden.

Griechenland und die Türkei wollen ihre Beziehungen auf eine neue, freundschaftliche Basis stellen. Mit großem Gefolge ist der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan gestern das erste Mal in seiner achtjährigen Amtszeit zu einem zweitägigen Besuch nach Athen gereist und wurde dort von einem strahlenden Kollegen Giorgos Papandreou in Empfang genommen. Der schon im Voraus als historisch apostrophierte Besuch soll die seit knapp zehn Jahren andauernde vorsichtige Annäherung der beiden Länder nun entscheidend voranbringen.

Der Zeitpunkt dafür scheint gut gewählt. Erdogan und Papandreou sind beide entschlossen, das Misstrauen zu überwinden und ganz pragmatisch aufeinander zuzugehen. Für die Türkei fügt sich der Besuch in Athen in die neue Strategie der Außenpolitik ein, möglichst mit allen Nachbarländern noch bestehende Probleme zu beseitigen und aufeinander zuzugehen. Während mit Syrien und dem Irak große Erfolge erzielt wurden, gleichzeitig die Aussöhnung mit Armenien aber erst einmal auf Eis liegt, soll nun der Durchbruch im Westen kommen. Gleichzeitig ist Papandreou in der derzeitigen prekären Lage Griechenlands dankbar für jedes Problem, das ihm abgenommen wird.

Deshalb sollen nun auch nicht nur die üblichen Verträge über Wirtschafts-, Tourismus-, und Umweltschutzzusammenarbeit unterzeichnet werden, sondern die Chefs wollen endlich auch selbst über die Gebietsstreitigkeiten in der Ägäis reden, die das Verhältnis beider Länder so lange vergiftet haben. Entweder will man selbst zu einem Kompromiss kommen, andernfalls soll der Streit nun endlich vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gebracht werden. Bis es soweit ist, sollen die Militärs schon einmal damit aufhören, sich den Luftraum gegenseitig streitig zu machen und damit eine praktische Entspannung einleiten. Erdogan hat im Vorfeld auch davon gesprochen, man könne Abrüstungsschritte vereinbaren, was ja die Haushalte beider Länder spürbar entlasten könnte. Zypern wird erst einmal ausgeklammert, weil dort im Moment alles blockiert ist.

Visafreiheit für beide Seiten

Damit die verfeindeten Brüder sich endlich besser kennenlernen, will sich Papandreou dafür einsetzen, dass in absehbarer Zukunft nicht nur Griechen problemlos in die Türkei reisen können, sondern auch Türken zumindest Kurztrips auf die ihrer Küste vorgelagerten Ägäisinseln machen können, ohne zuvor mühevoll ein Visum beantragen zu müssen.

Um zu garantieren, dass die ganzen Vorhaben nicht bei Absichtserklärungen steckenbleiben, wird ein griechisch-türkischer Hoher Kooperationsrat gebildet, der regelmäßige Ministertreffen vorsieht und mindestens einmal im Jahr auch die Ministerpräsidenten zusammenführen soll.

Gestern Abend fand denn auch schon einmal eine erste gemeinsame Kabinettssitzung statt, denn Erdogan hat gleich zehn Minister nach Athen mitgenommen. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 15.5.2010)