All-American-Arrangement: Jasper Johns' ironisches Symbol nationaler Identität - ehemals über dem Kaminsims in Michael Crichtons Schlafzimmer - wechselte für 22,62 Mio. Euro in Privatbesitz.

Foto: Copyright Christie's-Katalog

Beinahe fühle es sich an, als ob man von einigen der besten Freunde verlassen würde, beschrieb Taylor Crichton im Vorfeld der Auktion in New York ihre Gefühle. Die Liebe zur Kunst sei ja genauso Teil ihrer DNA. Wenigstens 14 ihrer 20 Lebensjahre, zumindest bis zur Scheidung ihrer Eltern, begleitete jedes einzelne Kunstwerk der Sammlung ihres Vaters auch ihren Alltag. Als Michael Crichton 2008 mit 66 Jahren starb, war seine fünfte Ehefrau im sechsten Monat schwanger. Nach der Geburt John Michael Todds im Februar 2009 bemühte seine Witwe Sherri Alexander die Justiz. Denn im Testament des Bestsellerautors war das ungeborene Kind nicht berücksichtigt worden.

Es folgte das übliche Gerangel, bis das Gericht im Oktober vergangenen Jahres dem Sohn ein Drittel des Crichton-Erbes zusprach. Die Veräußerung der Kunstsammlung - etwa 80 Prozent der gesamten Kollektion - würde laut Angaben der Anwälte die Aufteilung des Nachlasses erleichtern. Bingo: Die drei legendären "D" (Debt, Death, Divorce) gelten seit jeher als wesentliche Faktoren in der Maschinerie des Kunstmarktes. Und wenn sie auch noch einen Musterkoffer der amerikanischen Nachkriegs- und Zeitgenossen-Generation in den nach qualitativ hochwertiger Kunst gierenden Markt spülen, profitieren alle.

Prominente Freunde

Zwischen 51,3 und 74,31 Millionen Dollar bezifferte das Expertenteam von Christie's die monetären Erwartungen für die 93 sowohl im Zuge des Evening-Sales am 11. Mai als auch anderntags angebotenen Positionen. Am Ende durfte man 103,3 Millionen Dollar (81,6 Mio. Euro) in die Bücher notieren, womit Michael Crichtons artifizielles Erbe zur bestverkauften Post-War-&-Contemporary-Sammlung der Auktionsbranche bisher avancierte. Einen wesentlichen Beitrag dazu lieferten Zuschläge für Roy Lichtenstein (Untitled, 10,16 Mio. Dollar), Robert Rauschenberg (Studio Painting, 11,05 Mio. Dollar), Yves Klein (Le Buffle, ANT 93, 12,4 Mio. Dollar), Andy Warhol (Silver Liz, 18,33 Mio. Dollar) und allen voran Jasper Johns, mit dem Crichton eine enge Freundschaft verband.

Fasziniert vom Halbschatten der Ironie hinter dem Symbol dominiert bei Johns die Behandlung der Oberfläche, mit der er gezielt von der politischen Bedeutung der amerikanischen Flagge ablenkte. Ganz automatisch, so beschrieb Robert Hughes (Bilder von Amerika, Blessing Verlag, München 1997), ruft sie als Hauptsymbol nationaler Identität Reaktionen hervor, und Johns' Ziel war, eben diese zu verwirren. 1973 erwarb Crichton seine Flagge, die bis zuletzt als Herzstück der Sammlung galt und die oberhalb des Kaminsimses in seinem Schlafzimmer hing.

Ein Vierer-Duell

Keine zwei Minuten dauerte das unter vier Bietern ausgetragene Gefecht am frühen Abend New Yorker Lokalzeit. Statt der erwarteten zehn bis 15 Millionen Dollar bewilligte ein amerikanischer Kunsthändler brutto 28,64 Millionen Dollar (22,62 Mio. Euro). Im Vorfeld hatten Brancheninsider sogar über einen Rekordzuschlag in der Kategorie lebender Künstler spekuliert. Nichts da, den behielt mit Lucian Freud ein Brite deutscher Herkunft (Benefits Supervisor, 33,6 Mio. Dollar, Christie's New York, 2008).

Insgesamt schlug sich der Evening Sale bei Christie's nach 74 Zuschlägen mit hervorragenden 231,9 Millionen Dollar (183,2 Mio. Euro) zu Buche, dem Sotheby's am Abend des 12. Mai 50 Verkäufe zum aktuellen Gegenwert von 189,96 Millionen Dollar (149,97 Mio. Euro) entgegensetzte. Und immerhin darf sich Tobias Meyer die beiden höchstdotierten Besitzerwechsel der Woche an die Fahnen heften: Sechs Bieter peitschten Andy Warhols Selbstporträt aus dem Besitz Tom Fords deutlich über den Schätzwert auf 32,56 Millionen (25,7 Mio. Euro) Dollar, die ein Privatsammler zu zahlen bereit war. Dem tat es ein anderer gleich, der sich für Mark Rothkos Arbeit aus dem Jahr 1961 gegen vier Konkurrenten erst bei 31,44 Millionen Dollar (24,82 Mio. Euro) durchsetzen konnte. (Olga Kronsteiner, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 15./16.05.2010)