London - Das strikte Mehrheitswahlrecht auf der Insel galt bisher als Garant für stabile Verhältnisse, die eingebaute Benachteiligung kleinerer Parteien nahm die Mehrheit als notwendiges Übel hin. Durch das parlamentarische Patt kamen jetzt Alternativen ins Gespräch.

Die erste Möglichkeit heißt Alternative Vote (AV). Statt wie bisher nur ein Kreuz beim Namen ihres Kandidaten zu machen, könnten die Wähler in Zukunft ihre Präferenzen mitteilen: eine 1 für den Lieblingskandidaten, die 2 für den nächstbesten und so weiter. Gewinnt ein Bewerber keine 50 Prozent der Erststimmen, werden die Präferenzstimmen schlecht platzierter Konkurrenten verteilt, bis eine Person 50 Prozent auf sich vereinigen kann. Das in Australien praktizierte System sichert die Bindung eines einzigen Abgeordneten an den Wahlkreis. Die Labour-Regierung hatte vor der Wahl ein Referendum angeboten, in dem das Volk über die Einführung von AV abstimmen soll.

Im Nachbarland Irland werden pro Wahlkreis mehrere Abgeordnete gewählt. Dazu wird die Gesamtzahl der Stimmen durch die Zahl der Sitze geteilt. Wiederum profitieren Kandidaten, die nicht von vornherein die Quote erreichen, von den Präferenzstimmen, die für schlechter platzierte Bewerber abgegeben wurden.

Für die Wahl zum schottischen Parlament gilt die Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht (AMS), nach der auch der Deutsche Bundestag bestimmt wird. Jeder Wähler hat zwei Stimmen, eine im Wahlkreis, eine für die landesweite Parteiliste. Entscheidend ist die Listenstimme. So gewannen die schottischen Nationalisten 2007 zwar nur 21 Wahlkreise, erhielten durch die Listenstimmen aber 26 zusätzliche Abgeordnete. Hingegen lag Labour in 37 Wahlkreisen vorn, über die Liste konnten deshalb nur weitere neun Kandidaten ins Parlament einziehen.

In Schottland - wie in Deutschland - sind die Parteilisten geschlossen, die Wähler haben also keinen Einfluss auf die Rangfolge der Abgeordneten. Die 1998 auf Bitte des damaligen Premiers Tony Blair vorgelegte Studie des früheren EU-Kommissionspräsidenten Roy Jenkins sah deshalb offene Listen vor. Wie der Rest der umfangreichen Studie verschwand auch dieser Vorschlag umgehend in der Schublade - mehr als ein Jahrzehnt lang zeigte sich die regierende Labour-Party uninteressiert an jeglicher Wahlrechtsreform. (sbo/DER STANDARD, Printausgabe, 11.5.2010)