Armut ist halbwegs erträglich, wenn alle arm sind. Das weiß jeder, der die Nachkriegszeit erlebt hat. Aber sie wird unerträglich, wenn es nebenan Reiche gibt, die sich's gut gehen lassen. Wer nicht weiß, wie er nächsten Monat die Miete zahlen soll und zuschauen muss, wie andere sich derweil Luxusvillen bauen lassen, ist in Gefahr, durchzudrehen. Das sehen wir derzeit in Griechenland. Schlechte Zeiten in Kombination mit sozialer Ungleichheit ergeben eine tödliche Mischung. Wenn's ganz schlimm kommt, kann eine Gesellschaft darüber auseinanderbrechen. Was kann man dagegen tun? Sparen, aber gerecht.

Tony Judt, der große englische Historiker, hat in seinem jüngsten Buch Ill fares the Land mit vielen Statistiken und Beispielen nachgewiesen, wie das Auseinanderdriften von Reich und Arm eine Bevölkerung kaputtmachen kann. Je weiter sich die Schere öffnet, desto mehr steigen Kriminalität und Gewalt, desto häufiger werden Zivilisationskrankheiten, Depressionen und Selbstmorde. Umgekehrt sind jene Gesellschaften in jeder Weise besser dran, in denen die Einkommensunterschiede nicht so krass sind. Allgemeine Lebensqualität und eine gewisse Verteilungsgerechtigkeit gehören zusammen.

Österreich hat lange Jahre zu den eher egalitären Ländern gehört. Es gab relativ wenig ganz Arme und relativ wenig ganz Reiche. Noch kennen wir keine Luxusghettos, Country Clubs und befestigte Villenviertel, in denen sich die Wohlhabenden hinter Elektrozäunen gegen die Massen der Mittellosen verschanzen. Noch kann man beim Heurigen den Nobelanwalt hinter seinem Glas sitzen sehen und am Nebentisch den Facharbeiter. Noch haben wir ein einigermaßen ausgewogenes Gesundheits- und Sozialsystem. Aber die Betonung liegt auf "noch" .

Die Hilfsorganisationen werden nicht müde, auf das stetig wachsende Heer der Armen und Armutsgefährdeten hinzuweisen, inklusive derer, die von ihrem Vollzeitjob nicht leben können. Unter den Migranten bildet sich eine neue unterprivilegierte Unterschicht heraus. Gleichzeitig lesen wir in den Zeitungen jeden Tag von korrupten Managern, die ungerührt Millionen kassieren, als gäbe es kein Morgen. Wie lange kann das noch gut gehen?

Solange man selber hat, was man braucht, ärgert man sich zwar über die Meischbergers und Co und ihre Geschäfte, aber es ist ein Ärger, mit dem man leben kann. Im Grunde berührt einen derlei nicht wirklich. Aber wenn die Zeiten schlechter werden? Wenn das viele Geld aus den diversen Rettungspaketen zurückgezahlt werden muss? Wenn der Kuchen kleiner wird? Jeder weiß, dass in Zukunft ernsthaft gespart werden muss. Es wird Einschränkungen geben. Wenn diese nicht gerecht sind - und das heißt: stärkere Belastungen der Wohlhabenden -, könnte es kritisch werden.

In einer der Griechenland-Reportagen der letzten Tage kam eine zornige Demonstrantin zu Wort. Die Sparmaßnahmen träfen wieder die Kleinen, sagte sie. "Das gibt Krieg." "Krieg zwischen zwei Parteien?" , fragte der Reporter. Die Antwort: "Nein, Krieg aller gegen alle." (Barbara Coudenhove-Kalergi, STANDARD, Print-Ausgabe, 11.5.2010)