ZUR PERSON:

Sandra Comer (44) ist Professorin für klinische Hirnforschung an der Columbia University in New York.

Foto: Comer

Standard: Substitution galt einmal als Übergangsphase, um Opiatsüchtige zu stabilisieren und für ein Leben ohne Suchtmittel reif zu machen. Gilt das noch?

Comer: Ja, aber es wird seltener. Es braucht lange, bis Patienten bereit sind, von der Agonisten- zur Antagonistentherapie zu wechseln.

Standard: Welchen Opioidantagonisten setzen Sie ein?

Comer: Naltrexon. Viele mögen es aber nicht und steigen aus. Verzögert wirkendes Naltrexon, das nur einmal im Monat genommen wird, ist neu und vielversprechend.

Standard: Wie wichtig ist es, verschiedene Substitutionsmittel zur Verfügung zu haben?

Comer: Früher hatten wir nur Methadon und mussten alle enttäuschen, die es nicht vertrugen. Heute haben wir Agonisten für die, die noch nicht auf Opioide verzichten wollen, und Antagonisten für die, die ein suchtmittelfreies Leben anstreben. In einigen Ländern können wir sogar mit Heroin behandeln. Viele Optionen zu haben ist gut für die Patienten.

Standard: Wäre verzögert wirkendes Morphin eine Option?

Comer: Ich glaube nicht. Ich wüsste nicht, für wen es Vorteile hat. Zugegeben, Morphin ist der Bestandteil von Heroin, der die euphorisierende Wirkung auslöst, trotzdem bin ich überrascht, dass es hier in der Substitution verwendet wird. Wir haben kürzlich das Missbrauchspotenzial von Morphin mit dem von Oxycodon verglichen. Die Patienten mögen Oxycodon lieber. Es wird in den USA als Schmerzmittel verschrieben, ist leicht zu kriegen und wird sehr viel missbraucht.

Standard: Sind Substitutionsmittel in den USA Einstiegsdrogen?

Comer: Nein.

Standard: Was, von dem Sie über Substitution in Österreich erfahren haben, hat Sie noch überrascht?

Comer: Dass Buprenorphin hier überwiegend ohne Naloxon verschrieben wird. Es ist nicht so, dass das Kombinationspräparat gar nicht missbraucht werden kann, aber das Potenzial dafür ist geringer als bei anderen Substitutionsmitteln. Am Schwarzmarkt holt man es sich in nur, wenn gerade kein Heroin zur Verfügung steht, um die Entzugserscheinungen zu mildern. Das ist Missbrauch, mit dem ich leben kann.

Standard: Welchem Patienten würden Sie welches Substitutionsmittel verschreiben?

Comer: Ich würde bei jedem mit der Kombination Buprenorphin und Naloxon beginnen.

Standard: Hier gibt es Patienten, die Buprenorphin ablehnen, weil es den Kopf freimacht ...

Comer: Dann wird man sich seiner Probleme bewusst und muss sich ihnen stellen. Ja, das kriegen wir auch zu hören. Aber es gibt Patienten, die wollen einen klaren Kopf, die wollen arbeiten. Mit Methadon ist es schwer, sich zu konzentrieren. In New York mögen es wenige, weil man jeden Tag seine Dosis holen muss und weil herumerzählt wird, dass Methadon die Knochen schädigt. Erst dachte ich, das seien Märchen. Aber Methadon verringert den Speichelfluss, das schädigt die Zähne.

Standard: Sind Substitutionstherapien für andere Suchtmittel in Entwicklung?

Comer: Für Alkohol wüsste ich nichts, für Cannabis kommen THC-Tabletten infrage. Für Kokain werden verschiedene Amphetamine erprobt, aber das ist politisch noch sehr heikel. (Stefan Löffler, DER STANDARD Printausgabe, 10.5.2010)