Die dramatischen Schatten in Darrel Toulons "Timeextension", einem Spagat zwischen Ballett und zeitgenössischem Tanz

Foto: FSH St. Pölten

St. Pölten - Mit einem dichten und mehrschichtigen Programm, in dem Wert auf die lokale Integration gelegt wird, wartet das Festival Österreich tanzt auch in diesem Jahr wieder auf: Workshops, Aufführungen, ein "Choreo Lab" (nicht zu verwechseln mit dem choreo.lab des Ballettclubs Wiener Staatsoper und Volksoper oder dem ChoreoLab an der Donau-Universität Krems), Outdoor-Performance, Tango und Partys machen sozusagen Dampf in allen Gassen der niederösterreichischen Landeshauptstadt.

Die Abendprogramme des Festivals bestreiten unter anderen Doris Stelzer, Elio Gervasi, Darrel Toulon, Bernd R. Bienert und Georg Blaschke mit einem Solo für die 62-jährige Mitbegründerin des österreichischen freien Tanzes, Liz King. Die aus England stammende Choreografin leitete das Tanztheater Wien, das Heidelberger Ballett und auch das Ballett der Wiener Volksoper und widmet sich heute der Integration von Tanz im burgenländischen regionalen Kontext.

Mit Your Dancer zeigt Georg Blaschke, dass es im zeitgenössischen Tanz keine alten Eisen geben muss. Dieses Solo ist das Statement eines erfahrenen Körpers und einer durch eine ganz spezielle, wechselvolle Geschichte geprägten Persönlichkeit.

Geschichte in einem weiteren Sinn ist darüber hinaus jedem Körper auf den Leib geschrieben, und sie vermittelt sich über ein großes Spektrum an Zeichen. Mit einem Bereich dieses Spektrums beschäftigt sich Doris Stelzer, die wie Blaschke einer jüngeren Choreografen-Generation angehört.

Ihr Duett für zwei Männer (Josep Caballero Garcia und Ondrej Vidlar) mit dem Titel Shifted Views schließt an eine Reihe von Werken an, die sämtlich Zerlegungsarbeiten an etwas sind, das man gemeinhin als Traumkörper bezeichnet. Die Tänzer bei Doris Stelzer verzerren das Fashion-Model-Ideal, verunsichern den Blick und stellen infrage, wonach viele vergeblich hungern: den Bikini-Body und den Waschbrettbauch. Die Choreografin bricht dabei nicht das Klischee, sondern verschiebt einige der wesentlichen Merkmale seiner üblichen medialen Zurschaustellung - mit Ironie und treffsicherem Formgefühl.

Ein besonderes Zeichensystem hat den Choreografen Bernd R. Bienert zu der für St. Pölten bereits fünften Version seines Stücks SCHRIFTzeichnen - Signings angeregt: die Gebärdensprache. Deren Nähe zur tänzerischen Geste, die choreografischen Charakteristika ihrer Ausführung werden von Bienerts Tänzern (darunter Boris Nebyla, Ursila Szemeit und Harmen Tromp) in eine künstlerische Reflexion übersetzt.

Teil des von Manfred Aichinger und Nikolaus Selimov (die auch die Gruppe Homunculus leiten) zusammengestellten Programms des fünftägigen Festivals ist auch der Leiter des Balletts der Grazer Oper Darrel Toulon.

Poetische Tanzarbeit

Sein Stück Timeextension ist von Ernest Hemingways Klassiker The Old Man and the Sea und dem Gedicht Come Heavy Sleep von John Dowland inspiriert. Mit Video, experimenteller Musik und einer Mischung aus klassischem und modernem Tanz zeichnen Toulon und seine Alpha-Group-Tänzer ein poetisches Modell von Vergehen und Werden.

Ein großer Anhänger poetischer Tanzarbeit ist auch der aus Italien stammende österreichische Choreograf Elio Gervasi, der bei Österreich tanzt sein Trio "In - Out" einbringt. Eine Arbeit über zwischenmenschliches Kommunizieren, gefühlvoll über Annäherung und Berührung gespannt, variantenreich und voll sinnlicher Intensität.

So tanzt ein Teil der vielschichtigen österreichischen Szene: hingebungsvoll verspielt bis humorvoll analytisch, mit maßvollem Experiment und einem Hauch von Nostalgie.