Eine kanadische Band mit einem nicht gerade für den US-Mainstream geeigneten Namen: Holy Fuck produzieren mit analogem Equipment wunderbar quirlige und lärmige Psychedelic- Freak-outs mit der Lizenz für den Dancefloor.

Foto: The Young Turks

Dass man in die Ordnung mitunter Choas bringen muss, um Grundlagenforschung zu betreiben, wird bei diesem Quartett mehr als deutlich. Holy Fuck, ein Quartett um die beiden Multiinstrumentalisten Brian Borcherdt und Graham Walsh, ist eine Band, die den Strukturen und Möglichkeiten elektronischer Musik mit den Mitteln einer zunächst frei improvisierenden Band nachstellt. Während langer Jam-Sessions entstehen so dynamische, eruptive wie auch Euphorie verbreitende Tracks, die zwar klingen, als habe man sich hier ausführlich mit taktischen Fragen diverser Programmiersprachen auf dem Computer auseinandergesetzt. Diese Musik entsteht jedoch ausschließlich live. Ihr neues Album "Latin" präsentiert die Band dabei auf der Höhe ihrer Kunst.

Das Quartett aus dem kanadischen Ontario legt mit Keyboards, Bass und Schlagzeug sowie diversem Kinderspielzeug und zweckentfremdeter elektronischer Gerätschaft aus dem Entertainment- und Haushaltsbereich grundsätzlich komplex gestaltete Rhythmusteppiche. Es wird also grundsätzlich einmal zu viel Information in die erratischen Blöcke gepackt. Über Repetition, Verschlankung und Selbstdisziplinierung entwickeln Borcherdt und Walsh dann allerdings zwingend tanzbare Formen grundsätzlich tanzbarer und entschieden in der Brechung von Elektronik und Rock gehaltener Musik. Rockmusik, deren atemberaubende Ergebnisse tatsächliches Neuland erobern - oder zumindest davon künden, dass in einem längst abgearbeitet geglaubten Genre tatsächlich noch etwas Neues zu holen wäre.

Nun singe, wem Gesang gegeben. Von dieser Prämisse lassen sich Holy Fuck allerdings nicht in die Irre führen. Bis auf seltene Wortspenden agiert die Band rein instrumental. Das führt dann zwar manchmal dazu, dass das Quartett während seiner Dreiklangszerlegungen und freundlich pluckernden und pumpenden Tracks in der Nachfolge von in Holzfällerhemden steckenden Kraftwerk oder stilprägenden deutschen "Krautrock"-Bands der 1970er-Jahre wie Neu! oder Harmonia und Cluster über harschen Schlagzeug-Patterns in an den Kitsch grenzende romantische Sehnsucht verfällt, die im 21. Jahrhundert zurück bis zum deutschen Liedgut eines Franz Schubert verweist. Wem etwa bei der hymnischen Hookline von "Stay Lit" nicht das Herz vor nostalgischer Glückseligkeit übergeht, der sollte sich dringend auf den Verdacht auf Gefühlskälte untersuchen lassen. Dank der in diesem Unterfangen steckenden Energie, die das Schlagzeug tatsächlich als Herzschlagsimulator verwendet und eindeutig in der Schule des Kraut- an der Schwelle zum Roboterrock verortet ist, ist man vor allzu viel Beschaulichkeit allerdings prächtig gefeit.

Dies ist kein Sound des Niedergangs, es sind die Klänge des Aufbruchs, die man auf diesem Album hört. Keine Spur von Ironie, Zynismus oder postmoderner Schmunzeltechniken, wenn es darum geht, alte künstlerische Entwürfe von Leuten wie Hans-Joachim Roedelius oder Klaus Dinger über vier Jahrzehnte in die Neuzeit heraufzuholen. Hier haben sich vier Meister des kontrollierten Freak-out darauf festgelegt, so etwas Ähnliches wie Zukunftsfreude aufkommen zu lassen. Mit mehr als 200 Konzerten pro Jahr zählen Holy Fuck nicht nur zu den fleißigsten, sondern auch risikobereiten Bands im Geschäft. Jeden Abend werden die Karten neu gemischt. Bei jedem Auftritt besteht die Möglichkeit, neueste Errungenschaften aus den nachmittäglichen Soundtracks zu hören. Am 14. Mai gastieren Holy Fuck live im Wiener Chelsea. Es wird großartig werden. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Printausgabe, 7.5.2010)