Kary Mullis ist fraglos einer der schrägsten Wissenschafter, die je mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Mit seiner jüngsten Idee will er unser Immunsystem aufrüsten.

Foto: C. Fischer
Buchcover

Wien - "Ich bin eher ein schüchterner Typ", sagt Kary Mullis - eine Einschätzung, die man dem 66-jährigen Biochemiker gerne abnimmt, wenn er im komfortablen Lehnstuhl fast im Flüsterton über sich, seine Interessen und seine neue Entdeckung spricht. Einen Nobelpreisträger für Chemie stellt man sich irgendwie anders vor.

Kary Mullis ist fraglos einer der unkonventionellsten Laureaten, die in den letzten Jahren in Stockholm ausgezeichnet wurden. Das stellt er auch im Gespräch mit dem Standard gleich mehrfach unter Beweis. Nach seinen wissenschaftlichen Interessen befragt, nennt er an erster Stelle die Astrophysik, die er am genauesten verfolgen würde.

Warum er dann Biochemiker geworden sei? "Es ist schwierig, auf Partys über Astrophysik zu reden - außer in Cambridge oder Oxford", sagt der zum vierten Mal Verheiratete. Außerdem habe er sich als Student gedacht, dass man als Biochemiker einen Job kriegt, von dem man leben kann.

Mullis, der dieser Tage auf Einladung von Biomed Austria, dem Berufsverband der Biomedizinischen Analytiker, in Österreich weilt, kann ganz gut davon leben. Seine Erfindung hätte ihn indes noch viel reicher machen können, wie man in seiner auch nicht gerade konventionellen Autobiografie Dancing Naked in the Mind Field (1998) nachlesen kann.

In dem Buch, dessen Cover übrigens Mullis im Neoprenanzug nebst Surfbrett zeigt, schreibt der notorische Vielleser nicht nur davon, wie ihm die Idee zu seiner Erfindung kam - nämlich während einer nächtlichen Autofahrt auf LSD. Mullis klagt auch, wie er von seiner Firma dafür mit 10.000 Dollar abgespeist wurde. Ein paar Jahre später wurde das Unternehmen wegen der Erfindung für 300 Millionen an Roche verkauft.

Mullis' Millionending heißt Polymerasekettenreaktion (PCR) und hat die Molekularbiologie revolutioniert. PCR ermöglichte es, DNA in kürzester Zeit beliebig zu vervielfältigen, und ist zum unentbehrlichen Hilfsmittel für so gut wie alle genetischen Untersuchungen geworden - vom DNA-Fingerabdruck in der Kriminologie bis zur Entschlüsselung des Neandertaler-Genoms.

Viel lieber als über PCR ("Das ist alles schon so lange her") redet Mullis aber über Astrophysik. Und noch lieber über Altermune. Dahinter verbirgt sich die Idee einer kurzfristigen Mobilisierung des Immunsystems, um bakterielle Eindringlinge oder gar Krebs zu neutralisieren. "Konkret soll das funktionieren, indem sich speziell designte Moleküle an bereits im Körper vorhandene Antikörper heften und zugleich an den Eindringlingen andocken, der so aus dem Verkehr gezogen wird."

Finanziert wurden die bisherigen Vorarbeiten dazu von der US-Agentur Darpa, die auf Forschungsprojekte mit geringer Realisierungschance spezialisiert ist, so Mullis. Er ist dennoch auf Nummer sicher gegangen - und hat sich seine Idee zur Aufrüstung des Immunsystems schon einmal patentieren lassen. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6. Mai 2010)