Fritz Probst, heute 94, wurde als 20-Jähriger inhaftiert.

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Wien - Plötzlich standen die Straßenbahnen auf der Mariahilfer Straße still. Dann ging das Licht aus. Fritz Propst, damals Lehrbub, lief auf die Straße, fragte einen Schaffner, was passiert sei. "Generalstreik." Es war der 12. Februar 1934, die Kämpfe hatten begonnen. Auch 76 Jahre später erinnert sich Fritz Propst, heute 94 Jahre alt, noch ganz genau an den Tag, an dem der Austrofaschist Engelbert Dollfuß den Aufstand niederwarf.

Damals sei er sofort heimgelaufen, erinnert er sich im Gespräch mit dem Standard. "Bei der Stiftskaserne habe ich gesehen, wie das Militär am Turm Maschinengewehre aufbaut."

Als Jugendlicher landete der Bub aus Favoriten bei den Roten Falken. Bald aber war ihm die sozialdemokratische Jugendorganisation zu lax, ebenso wie deren Mutterpartei. Also wechselte Propst zu den Kommunisten, was den damals 20-Jährigen während des Dollfuß-Regimes im Jahr 1936 ins Gefängnis brachte.

Um sechs Uhr früh steht die Staatspolizei vor seiner Tür. Propst wird ins Polizeipräsidium gebracht, beim Verhör geprügelt. Propst wird danach verlegt und in eine Einzelzelle geworfen. "Meine Eltern haben zwar gewusst, wo ich bin. Besuchen durften sie mich aber nicht." Schließlich folgt das Urteil: sechs Monate Anhaltelager Wöllersdorf.

"Man hat dort die Leute eingesperrt, sie aus dem Leben herausgezogen, ohne jeden Beweis" , sagt der 94-Jährige: "Es war eine große Baracke, da waren Betten drinnen und in der Mitte durchgehend Tische." Den ganzen Tag sei man "sich selbst überlassen gewesen" .

Von Juli bis Dezember ist Propst inhaftiert, zurück in Wien muss er sich dreimal, später zweimal pro Woche bei der Polizei melden. "Wie wir vom Einmarsch der deutschen Truppen gehört haben, hat bei dem Revier schon die Hakenkreuzfahne gehangen. Dabei waren die noch gar nicht in Wien."

Dass die SPÖ nach Propst' Ansicht nach 1945 auf die Dollfuß-Opfer vergaß, bestärkt den Kommunisten in seiner Meinung über die Sozialdemokratie: "Die Stellungnahme der SPÖ ist: Vergessen wir die Geschichte. Schwamm drüber!" Der Konsens mit der ÖVP sei wichtiger gewesen. Immerhin: Seit Anfang des Jahres ist das anders. ÖVP wie auch SPÖ scheinen willens, eine Lösung zu finden. Wann und wie die Opfer rehabilitiert werden, ist noch offen. Für die wenigen Betroffenen, die noch am Leben sind, heißt es also weiterhin: bitte warten. Wie schon seit Jahrzehnten.

Propst gelang die Flucht vor den Nazis über die Tschecheslowakei nach Großbritannien. Als britischer Soldat kehrte er später nach Wien zurück.

Nun, wo eine Rehabilitierung der Dollfuß-Opfer zum Greifen nahe scheint, hat der alte Mann noch einen Wunsch: "Ich möchte gern an einem Gespräch mit Politikern darüber beteiligt sein." Dieses Privileg werde aber, ist Propst überzeugt, nur den hohen Herren vorbehalten sein. Und keinem kleinen Kommunisten. (Peter Mayr, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.5.2010)