Birmingham/Wien - Vorweg - wir reden hier von einer Sportart, in der 20-Jährige ihre Blütezeit schon hinter sich haben. Im Turnen, der Sportart, um die es also geht, ist freilich den chinesischen Frauen jüngst eine olympische Bronzemedaille abhandengekommen, weil ihre Frauen bei den Spielen 2000 in Sydney jünger waren als erlaubt. Der Weltturnverband (FIG) sah es nach eingehenden Untersuchungen als erwiesen an, dass Dong Fangxiao das erforderliche Mindestalter von 16 Jahren unterschritten hatte. Fangxiaos Altersangaben in Sydney sowie bei den Spielen 2008 in Peking ließen allein den Schluss zu, dass ordentlich getürkt worden war.

Und doch hat die FIG-Entscheidung nicht nur zu Erleichterung seitens der USA geführt, denen nachträglich Bronze zuerkannt wurde. Sondern auch zu Diskussionen. Immer mehr Stimmen werden laut, die für eine Streichung des Mindestalters im Turnen eintreten. "Es tut mir sehr leid für das chinesische Team, das derart hart bestraft wird" , sagte der rumänische Coach Nicolae Forminte am Rande der Turn-EM in Birmingham, die am Sonntag zu Ende ging. "Ich denke, die Turnerinnen sind ganz und gar unschuldig. Meiner Meinung nach sollten andere bestraft werden."

Forminte sagt, er sehe prinzipiell "kaum einen Unterschied zwischen einer 15-jährigen und einer 20-jährigen Turnerin" . Den Unterschied zwischen Turnerinnen mache nicht ihr Alter, sondern die Qualität ihrer Darbietungen aus. Und es werde auch künftig kaum Turnerinnen jenseits der 20 geben, "weil Turnen in diesem Alter schwierig wird" .

Bei den Spielen 1976 in Montreal hatte die 14-jährige Rumänin Nadia Comaneci die Fans zu Begeisterungsstürmen und die Punkterichter zur Höchstnote von 10,0 hingerissen. Daraufhin allerdings hob die FIG das Mindestalter für Turnerinnen auf 16 Jahre an. Woraufhin die Troubles erst so richtig begannen.

Den meisten Turnerinnen bleiben an der Spitze nur wenige Jahre. So denken etliche Coaches, man sollte ihnen die Entscheidung überlassen, ab wann sie Aktive zum Einsatz bringen. "Es ist besser, mit 14 zu beginnen" , sagt der russische Coach Alexander Alexandrow. "So oder so stehen die Mädchen schwer unter Druck. Und sie beginnen besser früher als später. Sie müssen schließlich auch an ihre Zukunft, an ihre Ausbildung denken."

Chinesische Turnerinnen sind seit jeher verdächtig. Dong Fangxiaos Geburtsdatum war 2000 in Sydney mit 20. Jänner 1983 angegeben worden und acht Jahre später, 2008 in Peking, mit 23. Jänner 1986. Messerscharf, wenn auch erst nach langer Untersuchung, schloss die FIG, dass da etwas nicht stimmen konnte. So oder so hatte es auch 2008 große Aufregung um Chinas Turnerinnen gegeben, speziell um He Kexin, die Olympiasiegerin im Team und am Stufenbarren, die, wie viele Kundige meinten, unmöglich 16 Jahre alt sein konnte. Freilich fand die Untersuchungskommission in diesem Fall keinen Beweis, seither sieht sich das offizielle China mit dem Vorwurf der Passfälschung konfrontiert.

Die FIG führte zuletzt ein Lizenzsystem ein, an das sich alle Turnerinnen halten sollten, die an größeren Wettbewerben teilnehmen. Die Sinnhaftigkeit dieses System wird bezweifelt. "Wenn schon dein Pass gefälscht ist, wirst du auch kein Problem damit haben, eine Lizenz zu kriegen" , sagt die niederländische Turnerin Mayra Kroonen, die mit 21 Jahren aus der breiten Masse hervorsticht. Ihrer Meinung nach sollte das Mindestalter nicht gestrichen, sondern von 16 auf 17 oder gar 18 Jahre angehoben werden. Dann würde man "echte Frauen und nicht nur Mädchen" in den Wettbewerben sehen. (Reuters, fri, DER STANDARD, Dienstag, 4. Mai 2010)