Nachfolger der "Millionenshow"?: Die Spieleshow "Push the Button" eher nicht, glaubt Formatentwickler Semeria.

Foto: Freemantle

Programmentwickler Stefano Semeria

Foto: Semeria

STANDARD: Die Lust auf Castingshow flaut ab. Was kommt danach?

Semeria: Das würden alle gerne wissen. Die großen Produktionsfirmen wie Zodiac oder Eyeworks sind in verschiedenen Märkten unterwegs, um erfolgreiche lokale Produzenten aufzukaufen. Im Moment beobachte ich eine gewisse Ratlosigkeit.

STANDARD:  Zeichnet sich etwas ab?

Semeria: Ich glaube, dass es vorerst beim Thema Reality bleiben wird, weil das ein bewährtes Rezept ist. Etwas ganz Neues kann ich nicht erkennen, dafür viele Hybride.

STANDARD:  Bestehendes mit Neuem zu mixen?

Semeria: Es wird auf die intelligente Paarung ankommen. Neu ist zum Beispiel eine Castingshow mit Puppen, die Idee eines deutschen Produzenten. Ich halte das für sehr viel versprechend: Einerseits wird das Genre ironisiert, dazu kommt ein neues Element. 

STANDARD:  Die britische Spieleshow "Push the Button" wurde als potenzieller Nachfolger für die "Millionenshow" gehandelt. Wie schätzen Sie die Chancen ein?

Semeria: Produzenten präsentieren sich gern mit dem Status des Nachfolgers. Es gibt im Moment trotz aller marktschreierischer Bemühungen keine Formate für herausragende Produktionen. Darunter leidet der ganze Markt. Aber es ist vielleicht eine symbolische Sinnkrise des Fernsehens. Dabei geht es letztlich um die Frage: Hat sich das Fernsehen auserfunden?

STANDARD:  Und hat es?

Semeria: Ich kann das nicht beantworten. Aber ich glaube, dass es genügend Kreativität gibt. Das Problem ist die geringe Risikobereitschaft der Sender. Sie steigen nicht ohne weiteres auf die Idee eines Noname-Entwicklers ein. Ich kenne das aus meiner eigenen Zeit als "Head of International Format Research" von ProSiebenSat.1: Man wollte von uns immer das Neueste, Frischeste, Unbekannteste, aber möglichst mit den Quoten von fünf Sendern.

STANDARD: Wie wirkt sich die Finanzkrise auf Formate aus?

Semeria: Erheblich. Reality entstand, weil die Sender kostengünstiges Programm brauchten und weg vom ganz teuren Fernsehen wollten. Das ist aber vielleicht jetzt genau der Grund, warum das Publikum nicht mehr darauf zugreift. Umgekehrt sehen wir, dass in Deutschland die Sehdauer gestiegen ist, trotz höherer Wiederholungsraten. Das hinterlässt mich etwas ratlos, muss ich sagen. Es muss einen großen Bedarf an Fernsehen geben, obwohl alle über die große Einfallslosigkeit meckern.

STANDARD: Welche Möglichkeiten bietet das Web gegen die große Einfallslosigkeit?

Semeria: Dazu gibt es ein großes Interesse und ganz viele Bestrebungen: Wie kann ich meine Programme online verlängern, welche Zielgruppen kann ich ansprechen? 

STANDARD:  Können Sie ein Beispiel geben?

Semeria: Die US-Serie Heroes bespielt alle Plattformen im Internet, macht eigene „Webisodes" es gibt eine riesige Community darum. Oder eine Gameshow kann auch online stattfinden, mit einer abgespeckten TV-Variante. Die Grundidee ist, zu sagen: Ich bin nach wie vor präsent als Sender, aber ich biete eine zusätzliche Erlebniswelt im Internet an.

STANDARD: Wie lässt sich das finanzieren?

Semeria: Über Werbung oder über Lizenzgebühren. Heroes zum Beispiel verkaufte einzelne Webisodes nach Spanien und Frankreich, was meines Wissens bisher einzigartig ist.

STANDARD: Beschleunigt das nicht die Entkoppelung zwischen Programm und Inhalten. Serien schauen viele nicht mehr im TV, sondern über Download oder DVD?

Semeria: Ich glaube nicht, dass die Mattscheibe tot ist. Bei den amerikanischen Sendern kann man sehen, dass gerade junge Zuschauer weniger schauen. Die erstaunliche Erkenntnis war: Sie schauen zwar noch fern, aber sie schauen zeitversetzt - ohne Werbung. Das führt dazu, dass vermutlich auch Onlineserien mit derselben die Unterbrecherwerbung auskommen müssen. Diese Entkoppelung greift immer mehr um sich, deshalb stellt sich die Frage, wie sich die Formate finanzieren lassen. Noch gibt es kein endgültiges Modell. In jedem kommerziellen Sender macht man sich darüber derzeit sehr viele Gedanken. 

STANDARD: Was schauen Sie im Fernsehen?

Semeria: Ich richte meinen Fokus auf Onlineproduktionen. Nicht, weil ich Fernsehen nicht mehr mag, sondern weil ich für mich entschieden habe, die Perspektive zu wechseln. Meine Lieblingsserie im Web ist Web Therapy mit Lisa Kudrow. Die Serie ist deshalb unterhaltsam, da die selbsternannte Psychotherapeutin glaubt, psychische Probleme in drei Minuten lösen zu können. (Doris Priesching, DER STANDARD; Printausgabe, 30.4./1./2.5.2010, Langfassung)