Ein Single-Trail, ein kurzes Bergab-Stück, eine Kehre im Hang, eine schmale Auffahrt, eine Wurzel und zwei Bäume – macht in Summe eine zu Boden gegangene Reißerische, die am Lenker von Martin "Sulzi" Sulzbachers Yamaha zerrt, als würde die WR eine halbe Tonne wiegen – das tut sie auch, wenn man sie zum gefühlten hundertsten Mal aufklaubt.

Foto: Guido Gluschitsch

Aber wie kommt die Reißerische auf der Sulzi-WR in den Wald? Martin Sulzbacher liegt seit einer Woche im Krankenhaus in Ried – er hat sich beim letzten Supermoto-Lauf mit seiner KTM überworfen. Die Orange hat gewonnen, Sulzi flog auf dem achten Platz "liegend" mit dem Notarzt-Hubschrauber ins Krankenhaus, wo er bald auf Staatsmeister René Esterbauer traf, der sich dort den Ellenbogen wieder richten lässt.

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Während Sulzi im Krankenhaus operiert wird, rechnet Joe Lechner gerade zusammen, wieviele Motorräder er zu seinem Anfänger-Offroad-Training „Enduro-Day" in Niederösterreich mitnehmen muss. Fast zwanzig Frischgefangte zwischen 20 und 60 Jahren – vorwiegend Frauen übrigens – haben sich angemeldet, um das erste Mal die Faszination Enduro-Sport kennen zu lernen und Schotter zu schmeißen.

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„Sicher, als Fahrtraining für Straßenfahrer bringt so ein Training Welten, weil man lernt, in Grenzsituationen nicht gleich die Nerven zu schmeißen. Aber eigentlich geht es darum, dass alle viel Spaß haben und am Abend komplett fertig sind", sagt Joe über sein Training, und Leute, die kommen, sind mutig.

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Da ist die junge Dame, die noch nicht einmal einen Motorrad-Führerschein hat und noch nie auf einer Enduro gesessen ist – sie sogar nur von Weitem gesehen hat. Da ist der rund 30-jährige Mann, der schon immer einmal im Schotter fahren wollte – nur halt nicht ohne professionelle Hilfe und erst recht nicht mit dem eigenen Motorrad. Und dann sind da die Reißerische und ich.

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Die Reißerische hat Sulzis WR, damit der nicht gleich auffällt, dass das Herrl schon eine Woche weg ist, und ich borge mir zusätzlich eine BMW G 450 X vom Joe aus, der erst stutzt, als ich ihm sage, was denn unser Wunsch ist: ein ehrwürdiges "Martin Sulzbacher Gedächtnisstürzen".

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Joe zeigt nur auf Dr. Redlway. Der Motocrosser und Enduro-Racer Joe Lechner kümmert sich um die blutigsten Anfänger – wer auf Anhieb weiß, wo die Kupplung ist, fährt mit dem Enduristen und Trial-Staatsmeisterschaft-erprobten Dr. Redlway.

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Das Training fängt harmlos an: Eine Pylonenstraße im lockeren Schotter zwingt niemanden in die Knie. Wer schnell ein Haxerl runterstellt, ist wieder auf der sicheren Seite. Beim Zielbremsen am Kies auch keine Probleme, außer dass der Herr Doktor schon haglich genau schaut, dass man zumindest auf zwei Meter genau dort stehen bleibt, wo es ausgemacht ist.

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Im Achter gibt es dann ein paar verbissene Gesichter, aber auch keine Stürze. Die Anfänger entwickeln sich unter den Anweisungen vom Dr. Redlway schneller als ein Polaroid-Foto.

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Und meine Güte, vom Joe waren s‘ vielleicht begeistert. Er mache das pädagogisch richtig und sei so unendlich geduldig, hat eine schon leicht lädierte Dame gemeint, und der Joe ist gleich um zwei Zentimeter gewachsen. Abseits von ein paar Umfallern am Stand ist nichts passiert.

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Weder in der "Psycho1-Gruppe", wie der Joe seine Leute nannte, noch in der "Psycho2" vom Dr. Redlway, der schon die ersten Auf- und Abfahrten mit seinen Leuten hinter sich hatte. Also konnte es, während alle anderen Mittagspause machten, nur ein Ziel geben: Den Gipfel, den eigentlich unerreichbaren.

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Das Martin Sulzbacher Gedächtnisstürzen hat in dem Moment begonnen, als Joe zum ersten Mal die erste Hälfte des Hangs erreicht hat. So schnell hat man gar nicht schauen können, wie aus dem Joe Lechner ein Philipp Zappel geworden ist.

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Galanter hat der Dr. Redlway abgelegt, und ich bin sogar an einer weitaus flacheren Passage fürchterlich gescheitert.

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Der Nachmittag wurde das Gelernte gefestigt. Teil eins nannte sich "Sonderprüfung" und war schon deutlich selektiver als das Vormittags-Programm. Den ambitionierten poppten die Helme vom Kopf wie ein Deckel von einem defekten Kelomat. Im Single-Trail fielen die einen der Wurzel zum Opfer, wie die Reißerische, die anderen den Asteln, und wer beides überstand, hatte sicher irgendjemanden im Weg stehen und purzelte deswegen.

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Letzte Übung: ein Steilhang, der so ruppig ist, dass jedes Waschbrett neidig wird. Am Anfang großes Moped-Weitwerfen – der Sulzi hätte vor Freude geweint, hätte er das gesehen.

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Nur die Reißerische hat nicht eingeworfen, sondern den Einser eingespannt, das Gas auf ON gestellt und die Augen zugemacht, bis sie oben war. Der Dr. Redlway ist so, wie er gestanden ist, umgefallen und hat sich sekundenlang nimmer gerührt.

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Dann hat sich das Spiel aber umgedreht. Alle sind zumindest einmal ohne zu stürzen rauf gefahren. Total sicher und oben zu recht unendlich stolz. Wir erinnern uns, wir sprechen von Leuten, die noch nie auf einer Enduro saßen.

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Nur die Reißerische fährt diesmal kontrollierter. Mit ordentlich Schwung und supergalant! Nur, schon fast ganz oben, hat sie ein Hauferl übersehen.

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Die WR fliegt fast wie loskatapultiert ab. Im Luftstand beschließt die Reißerische, dass es jetzt Zeit ist, abzuspringen und legt sich ins Gras. In Griffweite der WR. Der Sulzi hätte geweint, hätte er im Krankenhaus sehen können, wie sein Moped fliegt...

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