Nach den Attentaten des 11. September 2001 war der US-Luftraum aus Angst vor neuen Anschlägen mehrere Tage gesperrt. Heute wissen wir, dass dieser Schritt nicht notwendig gewesen wäre: Es waren keine weiteren Terroristen unterwegs.

Ob die jetzigen Sperren im europäischen Luftraum vernünftige Vorsichtsmaßnahmen oder überzogene Panikreaktionen sind, werden wir wohl nie genau erfahren. Die Vulkanasche aus Island ist nicht nur unsichtbar, ihre Gefährlichkeit für Flugzeuge ist auch besonders schwer abzuschätzen. Die Angst vor ihr beruht auf den Erfahrungen einiger Piloten, die durch solche Wolken durchgeflogen sind. Der Rest ist eine - wenn auch wissenschaftlich fundierte - Spekulation.

Gerade wegen dieser Unsicherheit ist es für die Behörden nicht leicht, den Forderungen der Fluglinien nach einer raschen Öffnung des Luftraumes nachzukommen. Bloß weil einige Flugzeuge unbeschadet gestartet und gelandet sind, heißt es nicht, dass das Fliegen für zehntausende Passagiermaschinen bereits sicher ist. Der Zorn von Airlinechefs wie Niki Lauda ist angesichts ihrer Millionenverluste verständlich, aber das macht ihre Einschätzung nicht glaubwürdiger.

Andererseits dürfen sich die nunmehr massiv angegriffenen Behörden nicht auf den Standpunkt zurückziehen, dass nur das Kriterium der Flugsicherheit zählen darf. Würden sie dem absoluten Vorsichtsprinzip folgen, müssten sie das Fliegen überhaupt verbieten. Auch die Folgerisiken müssen beachtet werden: Nach 9/11 ist die Zahl der Verkehrsopfer auf Amerikas Straßen stark gestiegen, weil viel mehr Menschen mit dem Auto gereist sind. Das Gleiche wird wohl in Europa der Fall sein.

Notwendig wäre daher ein nüchternes Abwägen zwischen dem gestiegenen Flugrisiko und den hohen finanziellen, aber auch sozialen, kulturellen und persönlichen Kosten einer anhaltenden Luftraumsperre. Einzelne wichtige Flugkorridore müssen rasch geöffnet, die Sperren zeitlich und räumlich auf das absolut notwendige Maß reduziert werden. Eine solche Vorgangsweise wird umso wichtiger, je länger der Vulkan auf Island Asche in die Atmosphäre spuckt. Die Einigung der EU-Verkehrsminister vom Dienstagabend wird diesen Vorgaben zum Teil gerecht.

Doch in den vergangenen Tagen haben die Flugsicherheitsbehörden und ihre vorgesetzten Politiker ein Bild abgegeben, das dem Chaos auf den Flughäfen gleicht. Schuld daran ist vor allem die Zersplitterung der europäischen Flugsicherung, die bereits im Normalbetrieb für hohe Kosten und ständige Verzögerungen sorgt. Obwohl sich alle Behörden auf die gleiche Informationsquelle, eine einzige Computersimulation aus London, berufen, entscheidet dann jedes Land für sich, ob Flughäfen und Luftraum gesperrt werden. Österreich ist offen, Norditalien aber zu, Wien ist in Betrieb, Bratislava nicht - mit optimierter Sicherheit hat dieses Wirrwarr nichts zu tun.

Und bis Montag, also fünf Tage nach dem Ausbruch, wurde kein einziges Mal die wirkliche Staubkonzentration in der Luft über Europa gemessen. Wie bei vielen anderen Krisen ist die Schlussfolgerung klar: Die EU-Staaten müssten viel weniger nationale und mehr zentrale Entscheidungen treffen. Die Eurocontrol braucht stärkere Kompetenzen, sowohl für das Tagesgeschäft wie auch für Notfälle. Es gibt nur einen Luftraum über Europa. Der kann nur gemeinsam geregelt werden. (Eric Frey/DER STANDARD, Printausgabe, 20.4.2010)