Die raschen Entwicklungen werfen viele neue Fragen auf. Josef Penninger macht sich an ein paar Antworten.

Foto: Regine Hendrich

Standard: Wie hat sich die Enthüllung des Bauplans des Menschen von Ihrer Warte aus abgespielt?

Penninger: Die Sequenzierung des menschlichen Genoms hat 13 Jahre gedauert, 18 Länder waren beteiligt, zwei Milliarden Dollar hat sie gekostet. Im Vergleich: Heute kostet die Sequenzierung eines Genoms zwischen 20.000 und 30.000 Dollar, und in der nahen Zukunft soll es noch viel billiger werden. Es gab eine wahre Technologie-Explosion. Dadurch entstanden auch vollkommen neue Möglichkeiten für Grundlagenforschung und medizinisch-angewandte Forschung. Ich persönlich konnte das wirklich nicht absehen, was da auf uns zukommt.

Standard: Wissenschaftlich oder kommerziell?

Penninger: Kommerziell war es absehbar. Zum Beispiel hat Anfang der 1990er-Jahre das Lebenswerk eines Top-Genetikers darin bestanden, dass er 200.000 Sequenzen lesen konnte. Das kann eine Maschine heute in fünf bis zehn Sekunden. Das ist kommerziell gesehen ein ungeheurer Fortschritt. Auf der anderen Seite bringt uns die Möglichkeit, Genome zu vergleichen, auf eine neue Ebene der Wissenschaft.

Standard: Wie weit ist der Weg von einer wissenschaftlichen Erkenntnis bis zur Anwendung?

Penninger: Wir haben '99 den ersten genetischen Beweis für das Knochenschwund-Gen RANKL geliefert. Nun, elf Jahre später, wird ein darauf basierendes Medikament auf den Markt kommen - falls die Behörden es zulassen. Bei diesen Dingen kommt es immer auf die Erkrankung an. Man muss sich auf solide Erkenntnisse stützen - alles andere ist ein leerer Hype.

Standard: Wo entstehen Innovationen?

Penninger: Die großen Firmen sind sehr innovationsresistent. Die agieren meistens spät. Die wirklichen Innovationen kommen von kleinen Biotech-Unternehmen, die ein Risiko eingehen, und akademischen Gruppen. Deswegen ist die Förderung der Grundlagenforschung und kleiner Start-ups essenziell.

Standard: Jeder will der Erste sein. Können Sie offen mit Information sein, wenn Sie riskieren, dass diese an jemanden gerät, der zwar nicht die Idee, aber im Augenblick die bessere Technologie hat?

Penninger: Absolut. Der Grund ist einfach. Wenn man mit zehn Leuten redet und ihnen alles sagt, dann stehlen zwei davon die Idee. Aber die anderen acht sagen einem ihre Idee, die vielleicht besser ist. Da ist Altruismus sinnvoll. Jedes Mal, wenn ich zu anderen Forschern nett war und ich etwas von denen fünf Jahre später brauche, genügt eine E-Mail. Meiner Meinung nach bringt Ultra-Competetiveness, die von manchen Leuten auch in Wien gepflogen wird, überhaupt nichts. Wie beim Fußball. Wir spielen, so hart wir können, wir wollen alle gewinnen. Aber nachher setzen wir uns zusammen und trinken ein Bier.

Standard: Jede Woche wird irgendein neues Gen entschlüsselt. Hauskatze, Sojabohne etc. Wozu?

Penninger: Man lernt sehr viel, wenn man Genome vergleicht. Das ist erstens sehr spannend, und zweitens ist man erst dadurch in der Lage, die essenziellen evolutionären Fragen zu stellen. Woher kommen wir? Wie funktionieren unsere Moleküle? Man kann sogar Fragen stellen, wie etwa Sprache entstanden ist oder welche Gene Altern, Leben, oder Tod regulieren?

Standard: Was kann man von der Gentechnik erwarten? Kann sie etwa das Welternährungsproblem lösen?

Penninger: Man muss es sich seriös anschauen, was genetisch veränderte Pflanzen hier beitragen können. Wenn man Pflanzen machen kann, die mit sehr wenig Wasser auskommen und sehr viel Ertrag haben, da wird's natürlich interessant, auch um die Umwelt zu schützen. Oder man denke nur an die Möglichkeiten, dass genetisch veränderte Pflanzen wie etwa Algen die zukünftigen Treibstoffe für unsere Autos machen werden. Es geht um eine kritische Beurteilung. Grundsätzliche Ablehnung bringt sicher niemanden weiter.

Standard: Kann Genetik Krankheiten beseitigen und uns sehr gesund sehr alt werden lassen?

Penninger: Gentechnik hat uns erlaubt, viele Krankheitsgene zu entdecken. Es gibt auch bereits wunderbare neue Therapien, die auf Gentechnik basieren, etwa Insulin für Diabetiker, Epo bei Blutarmut, neue Therapien für Krebs, oder diese neue Therapie gegen Knochenschwund, eine Erkrankung, die hunderte Millionen Leute betrifft - und wo wir mit unserer RANKL-mutierten Maus den ersten genetischen Beweis für das Wirkprinzip geliefert haben. Wenn man alt und gesund werden will, dann braucht man auch gesunde Knochen, und dies könnte bald Wirklichkeit werden. Jedoch muss man auch dazusagen, dass die häufigsten Erkrankungen wie Krebs, Fettsucht, Herzerkrankungen oder Diabetes in den meisten Fällen nicht durch ein Gen erklärt werden können, sondern diese Erkrankungen oft als ein Pingpongspiel unserer Gene mit der Umwelt, etwa unserer Ernährung oder Rauchen, entstehen.

Standard: Sind Gentests, die Wahrscheinlichkeiten für Krankheiten beziffern, aussagekräftig?

Penninger: Es gibt sehr gute Forschungsprojekte, die genetische "Landkarten" für Anfälligkeiten zu bestimmten Erkrankungen bei Menschen machen. Wie etwa in Island, wo man festgestellt hat, dass in manchen Familien, deren Stammbäume man hunderte Jahre zurückverfolgen kann, Herzerkrankungen oder Asthma vorliegen. Da kann man zwanzig, dreißig Gene bestimmen, die eine Anfälligkeit voraussagen.

Standard: Kann man durch die Wissenschaft der Genetik gesündere, schönere, intelligentere Kinder bekommen?

Penninger: Kinder macht man am besten zu zweit und überlässt das Ergebnis dem Zufall. Es gibt zum Beispiel Studien über den Faktor Körpergröße. Jeder weiß, dass, wenn große Eltern Kinder kriegen, diese auch groß werden. Es muss also in den Genen "liegen" . Die Er-gebnisse waren ernüchternd: Kör-pergröße muss von multiplen Gene reguliert werden. Die Komplexität, die ein genetisches Eingreifen bedeuten würde, wäre zum möglichen Resultat von einem Zentimeter plus völlig unverhältnismäßig. Wenn es dann um Dinge wie höhere Intelligenz oder Symmetrien von Körperpartien (Schönheit?) geht, steigt die Komplexität ins Unermessliche. Was wir in fünfzig Jahren können, ist aber natürlich nicht abschätzbar.

Standard: Hat die Entschlüsselung des menschlichen Genoms mehr Fragen beantwortet oder aufgeworfen?

Penninger: Biologie war eigentlich wie Astrophysik. Wir arbeiteten an fünf Prozent des Genoms - den sogenannten exprimierten oder Protein-codierenden Genen -, alles andere ist "dark matter" oder "Junk-DNA" . Jedoch sind die anderen 95 Prozent des Genoms auch höchst relevant, wie etwa MicroRNA oder sogenannte PiWi RNA. Dabei hat man etwa ein völlig neues Immunsystem entdeckt oder dass Springende Gene (Transposons) Entwicklung von Spezies regulieren könnten. Was in den letzten Jahren an genetischer Information bekannt geworden ist, versetzt uns in einen riesigen Ozean aus Möglichkeiten und völlig neuer Biologie. Wir schauen zurzeit nur auf die Oberfläche und zählen die Wellen. Es gibt unendlich viel zu entdecken, was es alles unter der Wasseroberfläche gibt. Was Physik für das 20. Jahrhundert war, ist moderne Genetik für das neue Jahrtausend.

Standard: Werden wir von Viren und Bakterien gesteuert?

Penninger: Ein Nobelpreisträger hat einmal als Bonmot gemeint, dass Viren und Bakterien uns lenken: Sie essen mit uns, brauchen sich um nicht viel kümmern und haben Sex erfunden, damit sie mal woanders hinkommen. Douglas Adams hatte also doch recht - nur die Spezies war wahrscheinlich die Falsche. (Bettina Stimeder/DER STANDARD, Printausgabe, 17./18. 4. 2010)