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Adi Hirschal als Tevje in der Musicalproduktion "Anatevka"

Foto: APA/Pfarrhofer
Wien - Hat der Fiedler auf dem Dach, spotbeleuchtet, seine erste Weise beendet, dimmt sich das Volksopernbühnendunkel zaghaft ins wolkenverhangen Abenddämmrige, und der Betrachter wird einer enorm fluchtpunktfokussierten Ansammlung von krippenartigen Unterständen gewahr, monochrom und erdig-staubig (Bühne: Mathias Fischer-Dieskau).

Wo befinden wir uns hier? In der zweiten Musicalproduktion der Ära Mentha erst einmal; der Chef des Hauses hat Anatevka, das fiktive ukrainische Dörfchen, auf der Bühne am Währinger Gürtel erstehen lassen, um (laut zwanzigstem Theaterbrief) die Fragen "Wie (über-)leben in einer gewaltsamen Welt?" und "Wie die Zuversicht, die Hoffnung tragen in eine neue Welt?" einem populärmusiktheatralischen Beantwortungsprozess zu unterziehen.

Anatevka, muss man wissen, beackert die an sich relativ musicaluntypischen Themenfelder Armut, Verfolgung, Überlebenskampf; konkret geht's um den jüdischen Milchmann Tevje, der nicht viel Geld hat, dafür aber fünf Töchter. Diese heiraten bzw. verloben bzw. verlieben sich in Tevje nicht ganz so genehme junge Männer; der Milchmann grämt sich zwar, fügt sich dann aber.

Am Ende wird die jüdische Bevölkerung Anatevkas aus ihrem Heimatdörfchen vertrieben. Auch sie fügt sich. Die traurig-lustige Geschichte basiert auf einer Erzählung des jiddischen Dichters Scholem Alejchem, im Jahre 1964 formten Joseph Stein, Sheldon Harnick und Jerry Bock diese zu dem Musical Fiddler on the Roof um. Mit 3242 Aufführungen und neun Tony-Awards ist es als eine der erfolgreichsten Broadway-Produktionen gelistet, wurde 1971 von Norman Jewison verfilmt und 1974 schon einmal an der Wiener Volksoper aufgeführt.

Aber nicht nur dort, nein, weltweit wurde und wird das Werk mit dem Konjunktiv-Tophit Wenn ich einmal reich wär' gerne gespielt und gesehen, so zum Beispiel die letzten drei Jahre über in der Essener Aalto-Oper, wo Adi Hirschal (an Conny Froboess' Seite!) die Milchkübel zu schleppen hatte. Hirschal glänzt in der Volksoper folgerichtig durch stupende Routine sowie ein aseptisch-properes Bundesdeutsch, man meint einer fonetischen Vermählung eines Harald-Juhnke- mit einem Jörg-Pilawa-Sprech beizuwohnen.

Solidarische Klänge

Erni Mangold besticht als Heiratsvermittlerin Jente mit dürrkrächzendem Rezitativsingsang und hat den deftigsten Sager des Abends zu machen ("Sch. . . auf deine Großmutter!"), Brigitte Swoboda als Hirschal-Gattin spricht mehr dem Schneidenden zu. Alle drei pflegen die dem Bühnenbild adäquate (ständig hält man Ausschau nach Mutter Courages Planwagen) Tradition des Brechtschen Sprech-/ Schreigesangs; das Orchester unter der Leitung Peter Keuschnigs zeigt sich zuweilen mit den auf der Bühne vorherrschenden ärmlichen Verhältnissen klangsolidarisch.

Birgit Meyer, die Chefdramaturgin des Hauses, hat Alejchems bzw. Bocks klingendes Lehrstück über den optimistischen Fatalismus technisch solide, aber biederbildlich in Szene gesetzt, lässt in den Nebenrollen volksoperettige Süßlichkeit zu sowie ein desaströses Gehopse des Volksopernbaletts. Insgesamt aber eine runde Sache mit vielen netten Witzchen: gschmackige Kost fürs Stammpublikum also. Begeisterter Applaus. (DER STANDARD, Printausgabe vom 14.4.2003)