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Foto: Reuters/Archiv

Verkehrte Welt in Tokio. Das Ende des Irak-Krieges steht unmittelbar bevor, damit verschwindet vorerst ein wenn nicht der große Unsicherheitsfaktor, doch die japanische Börse fällt auf ein neues Zwanzig-Jahres-Tief. Am Freitag schloss der 225 Werte umfassende Nikkei-Index bei einem Stand von 7.816,49 Zähler.

Des einen Freud, des anderen Leid...

Wie so oft im Leben ist auch am japanischen Finanzmarkt des einen Freud des anderen Leid. Denn während die Aktien seit Jahrzehnten nicht mehr richtig auf die Beine kommen, erfreuen sich Anleihen reger Beliebtheit. Mit einem aktuellen Stand von 0,675 Prozent bewegt sich die Rendite noch immer auf einem rekordtiefen Niveau. Als Kursstütze erwies sich eine stärker als erwartete Nachfrage bei der Auktion von Staatsanleihen, und dass, obwohl es sich dabei mit Papieren im Wert von umgerechnet 16 Milliarden Dollar um die umfangreichste Auktion aller Zeiten handelte. Die Nachfrage überstieg das Angebot aber trotzdem um das 3,5fache.

Ausgelöst wurde das Interesse vermutlich von der Aussicht auf eine auch weiterhin schwache Konjunkturentwicklung. Der in dieser Woche veröffentliche Tankan-Bericht, der die Geschäftserwartungen in Japan wider spiegelt ist nämlich schlechter ausgefallen als erwartet. Und auch die Weltbank sagt dem Land in einer neuen Studie eine anhaltende Deflation voraus.

Anlagestrategien in einem deflationären Umfeld

Mehr und mehr macht in der internationalen Anlegerschaft der Begriff der Deflation immer häufiger die Runde. Mit einem Seitenblick auf Japan fragt man sich allseits, wieweit die Situation der größten asiatischen Wirtschaftsmacht Hinweise auf ein geschicktes Anlegerverhalten bei Deflationsrisiken geben kann. Wer an das Deflationsgespenst glaubt, dürfte mit Blick auf Japan gut beraten sein, Umschichtungen von Aktien in festverzinsliche Wertpapiere vorzunehmen. Wie in einer jüngst erschienenen Studie von Schroder Salomon Smith Barney (SSSB) vorgerechnet wird, haben Anleger, die im Oktober 1995 in japanische Aktien investiert haben, seither rund 45 Prozent verloren. Im Schnitt 40 Prozent gewonnen haben demgegenüber jene, die in diesem Zeitraum auf Anleihen gesetzt haben.

Viele Parallelen, viele Gegensätze

Auf den ersten Blick sind die Ähnlichkeiten von Japan zu Beginn der neunziger Jahre mit dem gegenwärtigen Zustand der Volkswirtschaften von Europa und den USA in der Tat frappant. In Japan sorgten und mündeten ab Ende der 80er Jahre die Überhitzungen an den Immobilien- und Aktienmärkten in eine bis heute andauernde Konjunkturschwäche mit ausgeprägten deflationären Zügen. Ähnliches könnte nun in der Neuen und der Alten Welt nach dem Platzen der von den USA ausgehenden Technologieblase bevorstehen. Allerdings sind sich die meisten Marktbeobachter einig, dass bei genauerem Hinsehen die Risiken einer nach dem Muster von Japan ablaufenden langwierigen Deflationsphase derzeit eher gering sind. Anders als in Japan haben sowohl die USA als auch - in einem geringeren Ausmaß - Europa in der Vergangenheit bewiesen, dass Überkapazitäten schnell und entschlossen abgebaut werden. Jüngstes Beispiel dafür sind die Redimensionierungen in der Telekommunikationsbranche, oder die umfangreichen Maßnahmen früherer Jahre in von Überkapazitäten gekennzeichneten Branchen à la Stahl, Halbleiter und Papier. Unrühmliche Ausnahme: Deutschland, wo die SSSB-Experten weitaus skeptischer sind.

Holpriges Gegensteuern

In einem generellen Rahmen beunruhigt die Deflation die Finanzmärkte aus drei Gründen.

  • Zunächst kann die Geldpolitik der Notenbanken in einem deflationären Umfeld wirkungslos verpuffen. Selbst bei einer Lockerung der Leitzinsen bis auf den Nullpunkt können die realen Zinskosten positiv bleiben, womit sich die Geldpolitik als stumpfe Waffe zur Ankurbelung der Wirtschaft erweisen kann. Die amerikanische Notenbank unter Alan Greenspan und US-Regierungschef George W. Bush haben es trotz dramatischer jahrelanger Leitzinsabschläge und beispielloser Steuersenkungen bisher nicht geschafft, die amerikanische Wirtschaft nachhaltig anzukurbeln.

  • Zweitens erhöhen sich wegen der Angst vor Unternehmenszusammenbrüchen die realen Kosten der Verschuldung über höhere Risikoaufschläge. Für im EU-Raum anlegende Aktieninvestoren bedeutet dies, dass trotz Binnenmarkt den Länderrisiken wieder mehr Beachtung geschenkt werden sollte. Neben einer genauen Beobachtung der Inflationsdifferenzen besteht für Aktienanleger eine weitere Strategie darin, Branchen zu identifizieren, die einen vergleichsweise großen Spielraum in der Preissetzung besitzen. Im Urteil von SSSB ist dabei der Dienstleistungssektor dem Industriesektor grundsätzlich vorzuziehen.

  • Darüber hinaus verschieben die Wirtschaftsakteure in einem Umfeld fallender Preise ihre Investitionen. In Japan ist etwa die Sparquote trotz tiefen Zinssätzen so stark geklettert, daß der Nachfrageseite der Wirtschaft Konsumimpulse fehlen. Fazit: auch in Tokio ist es für allfällige Verkäufe von noch und so vorhandenen Aktienbeständen reichlich (zu) spät. Allerdings scheint gerade der japanische Aktienmarkt nach einer Baisseperiode von 14 Jahren, die eigentlich nur im Jahr 1999 von einer nachhaltigen Bärenrally unterbrochen wurde, für eine zumindest gegenüber den anderen beiden Hauptmärkten USA sowie Europa nahezu schon überfällig.

Übrigens: Die so wie nahezu alle Marktteilnehmer in den letzten drei Jahren mit ihren Empfehlungen nicht allzu gut gelegene SSSB empfiehlt, insbesondere in Europa und den Vereinigten Staaten den Medien- und den Bausektor genauer unter die Lupe zu nehmen, wo derzeit der Preisdruck noch am geringsten sei.

Nachlese

--> Einer wird gewinnen
--> Schweigen in der Folterkammer
--> Politik beeinflußt die Börsen wenig
--> Die Baisse kann bis 2018 andauern...
--> 1:0 für Anleihen
--> Arme Rentner
--> Kanonendonner oder Kursfeuerwerk?
--> Gratis-Kredit für den Chef
--> Aktien-Lotto
--> Quo vadis, Greenback?
--> 100 minus Lebensalter = Börsenerfolg
--> Haben „Bob the builder“ und US-Präsident Bush etwas gemein?
--> Aktien oder Anleihen: The winner is ...
--> Dow Jones in Richtung 120.000
--> "Baissemarkt bis 2018"
--> Eine schöne Bescherung
--> Von Analys(t)en und Abhängigkeiten
--> Börsen vor "Happy Wende"
--> Wenn der Zauber nicht wirkt
--> Contrariens unter der Lupe
--> Börsencrash revisited
--> Jim Rogers küsst wieder in Wien
--> Bush, Greenspan, Bin Laden ...
--> Zum Verkaufen zu spät, zum Kaufen zu früh
--> Japan ist einen Börsenblick wert
--> Wie sicher sind Versicherungsaktien?
--> Droht ein neuer Ölpreisschock?