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Ein kleines Mädchen wird in einem Waisenhaus abgegeben. Man schreibt das Jahr 1923. Achtzig Jahre später wird die Schriftstellerin Paula Fox über dieses Kind schreiben. Das weggelegte Baby ist sie selbst.

Fox erzählt die unglaubliche Odyssee der kleinen Paula, die zeitlebens ein Hassobjekt ihrer egozentrischen, hysterischen Mutter bleibt. Der Vater, ein willensschwacher Alkoholiker, der die Tochter ein paar Mal innerhalb von Jahrzehnten besuchte, sie manchmal von Freunden abholen und in fremde Haushalte bringen ließ, kann der fundamentalen Abneigung der Mutter nichts entgegensetzen.

Paula gewöhnt sich an häufige Ortswechsel. Sie wird verschickt wie ein ungeliebter Gegenstand und ihr unbekannten Menschen bedenkenlos überlassen. Das Kind wird in "fremde Kleider" gesteckt, die andere Menschen abgelegt haben. Schöne Kleider faszinieren fortan das Mädchen; es sind Dinge, die außerhalb ihrer Welt sind und die den Traum von einem anderen Leben verkörpern.

In den seltenen Stunden, da ihr Vater sich wieder einmal an sie erinnert, versucht sie ihm zu gefallen. Ein hoffnungsloses Unterfangen, da sie ja nicht wissen kann, was ihr Vater mag, wofür er sich interessieren könnte und in der Gegenwart ihrer Mutter verstummt Paula vollends, weil sie mit jeder Geste, jeder Miene einen Zornanfall heraufbeschwören kann.

Mit dreizehn wird Paula in Begleitung ihrer spanischen Großmutter für ein Jahr auf eine Zuckerrohrplantage nach Kuba mitgenommen, dann wieder nach New York verfrachtet. Es folgen unzählige Ortswechsel, fast ein Wunder, dass das Kind die Schule abschließen konnte. Das alles kontrastiert zu der teilweise glamourösen Hollywood-Umgebung, in der sich die Eltern aufhielten. En passant erwähnt Fox, dass sie mit Douglas Fairbanks verwandt ist.

Fox' autobiografischer Rückblick ist deshalb so eindrucksvoll, weil sie mit fast bestürzender Sachlichkeit von ihrer desaströsen Kindheit berichtet. Sie bemitleidet sich nicht, ist gänzlich unsentimental und kann auch ihren wechselnden Verwandten und Betreuern nur wenige Emotionen entgegenbringen.

Am Ende des Buches zeigt Paula Fox, wie sich die Familiengeschichte wiederholt: Wie Paulas unfähige Mutter ihrerseits von der Mutter vernachlässigt und ignoriert worden war und wie die Schriftstellerin selbst mit zwanzig eine Tochter bekam und das Baby zur Adoption freigab, weil sie sich außerstande sah, sich um ein Kind zu kümmern.

Aber das durch Generationen fortgesetzte Verhängnis kann irgendwann einmal durchbrochen werden. Paula Fox hat sich mit ihrer erwachsenen Tochter ausgesöhnt. Und das ist eine gewaltige Leistung für jemanden, der nie irgendeine Art von Sicherheit erfahren durfte.(Ingeborg Sperl/DER STANDARD; Printausgabe, 12.04.2003)