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Ein Kind schwenkt eine Fahne der rechtsextremen "Afrikaner Weerstandsbeweging" beim Begräbnis von deren langjährigem Anführer Eugene Terreblanche.

Foto: REUTERS/Siphiwe Sibeko

Mannheim/Wien - Das Problem ist wohl so alt wie die Menschheit selbst: Wer anders aussieht, ist erst mal suspekt. Dem Fremden tritt man oft reserviert gegenüber, vor allem wenn seine Haut eine andere Farbe hat. Im schlimmsten Fall kommt es zum Rassismus.

Leider scheint die Grundlage solcher Abneigungen tief im menschlichen Empfinden verwurzelt zu sein. Regelmäßig haben Studien schon bei Kleinkindern eine Bevorzugung der eigenen ethnischen Gruppe, gepaart mit Abgrenzung gegenüber anderen, beobachtet (vgl. u.a. "Developmental Psychology", Bd. 43, S. 1347). Eine Folge der Erziehung? Anscheinend nicht nur.

"Rassenvorurteile sind allgegenwärtig", erklärt der Psychiater Andreas Meyer-Lindenberg vom Mannheimer Zentralinstitut für seelische Gesundheit im Gespräch mit dem STANDARD. Meyer-Lindenberg interessiert sich besonders für biologische Ursachen von psychischen Störungen und abweichendem Verhalten. Im Rahmen früherer Projekte hat er unter anderem die Hirnfunktion von Patienten mit Williams-Syndrom untersucht, eine seltene genetische Krankheit, ausgelöst durch eine Lücke auf einer Kopie des Chromosoms Nr. 7. Rund eines von 10.000 Neugeborenen leidet darunter.

Ganz ohne jede Sozialangst ...

Wer mit Williams-Syndrom (WS) auf die Welt gekommen ist, verhält sich seinen Mitmenschen gegenüber extrem offenherzig und sozial. Auch vollkommen unbekannten Personen begegnen die Betroffenen ohne eine Spur von Scheu. Kleinkindern mit WS fehlt das alterstypische Fremdeln. Das Syndrom geht also mit einer völligen Abwesenheit von Sozialangst einher. Andere häufige Begleiterscheinungen sind Wachstumsdefizite, Herz- und Gefäßabweichungen und Lernschwäche.

Ihre Erfahrungen mit WS-Patienten inspirierten Andreas Meyer-Lindenberg und zwei Kolleginnen vom neurologischen Forschungsinstitut CNRS in Marseille zu einem Experiment. Die Wissenschafter zeigten zwanzig WS-betroffenen Kindern und Jugendlichen sowie einer gleichen Anzahl gesunder Altersgenossen Zeichnungen mit je einer hellhäutigen und einer dunkelhäutigen Person. Ansonsten waren die dargestellten Figuren von gleicher Altersklasse und Geschlecht.

... und ohne Rassenvorurteile

Die jungen Testpersonen sollten jeweils einem der abgebildeten Menschen bestimmte negative Eigenschaften wie zum Beispiel Dummheit zuordnen. Alle Befragten waren "hellhäutige" Personen französischer Nationalität.

Erwartungsgemäß sprachen die normalen Probanden dunkelhäutigen Menschen deutlich häufiger Negatives zu. Vorurteile eben. Bei den Teilnehmern mit WS dagegen zeigte sich dieser Trend nicht. Dies ist der erste Hinweis auf die Abwesenheit von Rassenvorurteilen bei einer bestimmten Gruppe Menschen, schreiben die Experten in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts "Current Biology" (Online-Vorabveröffentlichung vom 12.4.).

Dass das Williams-Syndrom indes nicht von allen Vorurteilen befreit, zeigte das Forscherteam in einem zweiten Versuchsteil. Wenn es um geschlechtsspezifische Stereotypen (Wer kocht das Essen?) ging, unterschieden sich die jungen WS-Patienten keinesfalls von den anderen.

Die neue Studie bietet der Wissenschaft wichtige Perspektiven. Rassismus, Xenophobie und soziale Furcht könnten gemeinsame Wurzeln haben. Der Sitz solcher Ängste könnten die Amygdala in den Schläfenlappen sein, so Meyer-Lindenberg. Sie zeigt bei WS-Betroffenen im Umgang mit sozialen Gefahrenreizen eine ungewöhnlich geringe Aktivität. (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, Printausgabe, 13. 4. 2010)