derStandard.at: Zukunftsthesen sind immer schwierig zu machen und zu Recht Kritik ausgesetzt. Warum blicken Sie dennoch in die Zukunft der neuen Arbeitswelt?
Zellmann: Weil man den Menschen die Grundlagen für eigene Entscheidungen aufbereiten muss. In der Zeitenwende, in der wir nun einmal leben, also dem Übergang vom Industriezeitalter ins Dienstleistungszeitalter, ordnen sich so viele Dinge neu, werden Werte überprüft, entstehen quasi neu. Das kann man nicht vorgebenden Ideologen überlassen sondern eine mündige aufgeklärte Gesellschaft ist aufgerufen die Zukunft mehr als bisher selbst zu gestalten. Die Zukunft ist nicht prognostizierbar, aber man kann sie aufgrund sorgfältiger Analyse von Vergangenheit und Gegenwart bauen und das betrifft selbstverständlich und besonders die Arbeitswelt.
derStandard.at: Wie wird der Arbeitnehmer der Zukunft aussehen? Welche Tätigkeitsszenarien wird es geben?
Zellmann: Das wichtigste ist der Wechsel von der Produktivität der klassischen Industriearbeit zur personenbezogenen Dienstleistung. Das wirklich direkte Verhältnis zwischen Menschen – High Touch statt High Tech – wird in Zukunft gefragt sein. Und das ist eine Kompetenz, die wir bisher in den Schulen und der Ausbildung insgesamt viel zuwenig geachtet und gelehrt und gelernt haben.
derStandard.at: So neu ist das aber nicht, wir leben doch jetzt schon in einer Dienstleistungsgesellschaft.
Zellmann: Nur oberflächlich betrachtet. Der Punkt ist, wir unterscheiden eben nicht zwischen der unternehmensbezogenen Dienstleistung, die es auch im Industriezeitalter gegeben hat – also Service des Unternehmens für seine Kunden. Das hat ja im Industriezeitalter eine Dienstbotengesellschaft erzeugt. Ich meine die personenbezogene Dienstleistung – Pflege, Betreuung, Tourismus – Bereiche in denen Menschen nicht gut ausgebildet, nicht gut angesehen, schlecht bezahlt sind.
Das wird sich in den nächsten zwanzig Jahren ins Gegenteil umdrehen, die eigentliche Wertschöpfung der Dienstleistungsgesellschaft wird diese personenbezogene Dienstleistung sein – das müssen Anbieter wie Nachfrager eben erst lernen. Dazu ist aber eine Übergangsgesellschaft geeignet, in der wir uns nun befinden. Diese dauert zwei Generationen: Das hat in den 1970er Jahren begonnen und wird bis ins Jahr 2030 dauern. Alle nach 1970 geborenen sind in diesen Übergang schon hineingeboren – kennen das quasi Alte nicht mehr, haben aber das Neue noch nicht wirklich vor sich. Die Chance in so einem Übergang ist immer der Fortschritt der Gesellschaft.
derStandard.at: Jetzt ist es so, dass vor allem Frauen und Migranten in diesem schlecht bezahlten Sektor wie in der Pflege arbeiten. Wird es hier ein Umdenken geben?
Zellmann: Sie sprechen einen ganz wichtigen Punkt der Dienstleistungsgesellschaft an. Ein Umdenken setzt voraus, dass wir erkennen: nicht Frauen und Männer werden unterschiedlich bezahlt, sondern Berufe nicht entsprechend aufgewertet und bezahlt, die dann in zweiter Linie von Frauen ausgeübt werden. Das kann demnächst die Männer betreffen. Die Männer müssten sich viel mehr um diese bisher frauentypischen Berufe kümmern.
derStandard.at: Aber werden diese Berufe dann auch mehr wertgeschätzt werden – auch bei der Entlohnung?
Zellmann: Genau das gilt es jetzt zu entscheiden. Wir müssen zunächst einmal erkennen, wie bestimmend – besonders für das Tourismusland Österreich – diese personenbezogene Dienstleistung eigentlich ist: das ist also die Wertschöpfung der Zukunft – und wie bilden wir dafür aus. Was müssen wir junge Menschen lehren, damit sie sich in dieser immer mobiler, flexibler werdenden Welt zurechtzufinden? Fähigkeiten wie Empathie, Persönlichkeitsentwicklung, Kommunikationsfähigkeit, Konfliktmanagement – da spielt eine Fülle von Dingen hinein. Und daraus entsteht dann die Frage der gerechten Bezahlung.
derStandard.at: Heißt das mehr emotionales statt theoretisches Lernen für die Bildung der Zukunft?
Zellmann: Ja, nur. Die reine Wissensvermittlung werden vor allem Internet, Computer, Softwareprogramme übernehmen, für das wird es immer weniger Lehrer im klassischen Sinne geben. Der Zugang zu Wissen wird eine Informationsquelle sein, das Wissen selbst jederzeit abrufbar – wie wir das ja auch im Alltag schon erleben. Menschen-, und Persönlichkeitsbildung können Software und Programme aber nicht übernehmen.
Das heißt wir müssen unsere Lehrpläne komplett umordnen. Wir bilden derzeit mit Methoden von vorgestern auf Berufe von übermorgen aus. Es gibt Autodidakten, die das sehr gut machen – besonders im Volksschulbereich, aber es sind die einzelnen Lehrer, die sich dieser emotionalen Neuentwicklung stellen und nicht das Schulsystem selbst. Es hat überhaupt keinen Sinn über die Zukunft der Arbeit zu spekulieren, solange man nicht erkennt, dass sich das Bildungssystem grundlegend verändern muss.
derStandard.at: 2015 soll der Jobmarkt in Österreich kippen – erstmal sollen dann mehr arbeitende Menschen in Pension gehen als Berufsanfänger nachrücken. Wie wahrscheinlich ist dieses Szenario?
Zellmann: Das ist eine Spekulation, so wie die Entwicklung der Gesellschaft immer in der Überschrift und nie in der Tiefe diskutiert wird. Das sind Momentaufnahmen, die linear in die Zukunft projiziert werden. Erstens blendet das aus, dass die Menschen sicher länger arbeiten werden. Wenn ich zehn, 15 Lebensjahre gewinne, muss ich bereit sein, zwei oder drei Jahre länger zu arbeiten. Das ist keine Frage der Ideologie sondern der ganz persönlichen Logik. Das gleicht schon einmal vieles aus. Derzeit sind wir aber noch froh, wenn Ältere ausscheiden und Jüngere damit Arbeit geben.
Der zweite wichtige Punkt: Die Bevölkerungsprognosen für Österreich sind bis 2040 im Plus- nämlich aufgrund der Zuwanderung. Wenn jetzt neue Österreicher entstehen, die sich auch als solche fühlen und wie um die Jahrhundertwende im Herzen Europas ein multikultureller Vielvölkerstaat entsteht – aber positiv gesehen, weil Menschen gerne hierher kommen, gerne hier arbeiten – stellt sich plötzlich die Bevölkerungsstruktur ganz anders da. Die Entwicklung der EU, die (Nicht-)Aufnahme der Türkei, die Angleichung der Lebensstile in Europa – was ja in vollem Gange ist, das kann in etwa in zwanzig Jahren abgeschlossen sein.
derStandard.at: Sie erwähnen zwei wichtige Punkte: einerseits die alternden Arbeitnehmer, andererseits die Migranten. Glauben Sie, dass Gesellschaft und Wirtschaft bereit sind für dieses Szenario?
Zellmann: Lobbies und Interessensvertretungen kämpfen um morgige (Wahl)erfolge, die nicht in die Tiefe gehen und keine breite vernünftige Diskussion eröffnen. Wir müssen in einer aufgeklärten Gesellschaft im 21. Jahrhundert viel mehr subsidiär vorgehen, also auf die wirkliche Betriebsebene viel mehr an Entscheidungen verlagern.
Dazu braucht es aber gute und verlässliche Rahmenbedingungen – denn der Einzelne ist natürlich überfordert. Man braucht die gesetzliche Grundlage dafür, was ich eigentlich einfordern kann. Nur so kann es ein Entscheidungsspektrum auf der Betriebsebene geben, innerhalb dessen Arbeitnehmer wie -geber individuelle Lösungen treffen können, die als solche auch verlässlich einklagbar sind
Dafü müssen aber Tarifpartner, Gewerkschaften ebenso umdenken wie die Wirtschaftskammer. Alle Interessensvertretungen sind gefordert diesen Übergang in eine neue Leistungsgesellschaft nachzuvollziehen. Die Menschen sind bereits auf Orientierungssuche und sind auch bereit diese Flexibilität und Mobilität, Emotionalität in ihre Lebensplanung einzubeziehen. Hinderlich ist eigentlich das politische Establishment.
derStandard.at: Werden sich die Menschen in Zukunft noch mehr über die Arbeit definieren oder wird es eher ums Geldverdienen gehen?
Zellmann: Grundsätzlich werden die Menschen im 21. Jahrhundert nicht mehr leben um zu arbeiten, sondern sie werden arbeiten – und manche sogar gerne – um zu leben. Das Außerberufliche gewinnt an Wert. Ich nenne es Freizeitorientierung der Lebensstile. Dieser Lebensbereich macht übrigens 53 Prozent der Lebenszeit aus. Arbeit und Beruf inklusive Ausbildung machen nur 14 Prozent unserer Lebenszeit aus. Ein Drittel verschlafen wir.
derStandard.at: Das klingt überraschenderweise nach viel Freizeit.
Zellmann: Das ist so, glauben Sie mir. Die 53 Prozent Freizeit definieren sich so: Ich arbeite nicht im Hauptberuf und ich schlafe nicht. Das ist aber auch selbstverständlich auch nicht freie Zeit für mich selbst. In dieser Freizeit steckt sehr viel an Obligationen für andere Tätigkeiten, soziale, familiäre Aufgabe ect. Dieser Bereich ist der unerkannt wichtige Leistungsbereich vieler Menschen.
derStandard.at: Wir sind in dieser Freizeit aber auch immer "erreichbarer" – auch aufgrund neuer Technik.
Zellmann: Genau das meine ich. Diese 53 Prozent Lebenszeit, mit denen sich kein Politiker auseinandersetzt, dieser außerberufliche Lebensbereich gewinnt an Bedeutung, ist aber noch nicht definiert. Hier wird sehr viel fremdbestimmt, geleistet und gearbeitet. Der Pfusch gehört da dazu und die Hausarbeit und, und, und. Das wird die neue Dienstleistungsgesellschaft sein: aus diesen Obligationen wird sehr viel auch anerkannte Arbeit werden in Zukunft. Der Übergang wird fließend.
derStandard.at: Sie erwähnen in Ihrem Buch, dass die moderne Arbeitswelt von Mythen lebt. Welche sind das?
Zellmann: Jobnomaden gibt es nicht. Die Zwanzig-, Dreißigjährigen wollen eigentlich genau so arbeiten wie ihre Eltern, wenn man sie ließe. Die Kompetenzen und die Bereitschaft für Mobilität und Flexibilität muss die Gesellschaft erst lernen. Freiwillig macht das niemand. Damit das für den Einzelnen nicht zum Nachteil wird, müssen dafür ebenfalls Rahmenbedingungen geschaffen werden. Vor allem muss ich immer die Interessenslage des nicht selbständig Erwerbstätigen mit einbeziehen. In den Kollektivverträgen müssen Sicherheiten eingebaut sein, dass diese Flexibilität keine Einbahnstraße ist.
Der zweite Mythos sind die flachen Hierarchien, die es in Wirklichkeit nicht gibt und die die Menschen auch nicht wollen. Natürlich ist Sozialkompetenz, Teamgeist und -fähigkeit wichtig. Aber im Großen und Ganzen mögen es Menschen ganz gerne, wenn jemand sagt, wo es lang geht und dafür die Verantwortung übernimmt.
derStandard.at: Ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch eine Legende, die nur gut klingt?
Zellmann: Sie ist insofern eine Legende, weil sie noch lange nicht umgesetzt und möglich ist. Auch weil das Schulwesen mit seinen ganztägigen Angeboten hinten nachhängt. Ein wichtiger Begriff, der falsch verwendet wird, ist Work-Life-Balance. Er unterstellt einen Gegensatz zwischen Work und Life. Eigentlich geht es um Work-Leisure-Balance also um Arbeits-Freizeitausgleich. Also soviel arbeiten wie sinnvoll und notwendig, aber durchaus den anderen Lebensbereich mit einbeziehen. (derStandard.at, 12.4.2010)