Kinder, waren das Zeiten: Johann Wolfgang Lampl (li.) und Florian Kaufmann, denkend, trinkend, dösend.

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Nostalgie, mit Könnerschaft beschworen!

Wien - Wegen eines Stückes wie der Ibsen-Nachdichtung Gespenster, geschrieben von dem Grazer Weltdramatiker Wolfgang Bauer (1941-2005), wurden in den 1970er-Jahren wahre Kulturkriege vom Zaun gebrochen. In Sonderheit die lokalsteirische Berichterstattung glaubte, dass Bauer, der Schöpfer von Beat-Dramen wie Magic Afternoon, eine Art Demarkationslinie übertreten habe: Da saßen zwei Künstlertypen in einer schäbigen Wohnküche, quatschten Unsinn, soffen Williams-Birne und qualmten dazu wie die Schlote der metallverarbeitenden Industrie in der Mur-Mürz-Furche.

Handlung? Ein eher zufällig hereingeschneites Schweizer Mädchen wird von den Wohngenossenschaftern erst ausgenützt und missbraucht, hierauf systematisch in den Wahnsinn getrieben. Verantwortung? Kann es keine geben, da Bauers Figuren ihre sozialen Aktivitäten in die Sphäre des Gesellschaftspiels verlagern.

Spiele haben Regeln; deren Kenntnis aber - so erzählt es Regisseur Dieter Haspel im Wiener Petersplatz-Theater ebenso konsequent wie beflissen nach - ersetzt die Klärung der Machtfrage. Man weilt auf der Welt, um zu manipulieren: die Gegenstände und die Gehirnzellen, vor allem aber die Damen, die man "pudert".

Die Skandal-Fama ist daher so unrichtig wie eh und je: Gespenster ist kein "drastisches" Drama. Es feiert weder die Freuden der Enthemmung, noch bricht es irgendwelche Lanzen für leichtfertigen Geschlechtsverkehr mit ständig wechselnden Partnern.

Gespenster eröffnet - anlässlich der Wiederaufführung in der Garage X fühlt man sich geradezu nostalgisch erregt! - den Blick in ein gesellschaftliches Laboratorium, auf das sich Staub niedergesetzt hat. Aber wie merkwürdig altbekannt schillern die Flaschen, Flöten und Gläser. Fred (Johann Wolfgang Lampl), der schwammige Gelegenheitsdramatiker, löst zusammen mit seinem schmächtigen Dozentenfreund Robert (Florian Kaufmann) die buchstäblich allerletzten Menschheitsfragen.

Bewusstseinsfragen

Man ringt um ein höheres Bewusstsein. Man nennt seinen Schluckauf beim Kosenamen und nistet wohlig im Speck der eigenen Wohlstandsexistenz. Die Leibwäsche und das Plastiktischtuch atmen den Schmutz der spurlos versunkenen Jahre. Wie war das eigentlich, als Grazer Lokalmatadoren wie Wolfi Bauer und Dichterkollege Gunter Falk, gefühlte Jahrhunderte vor jeder Online-Romantik, dem Wirklichkeitsbegriff den Kampf ansagten? Es muss furchtbar gewesen sein.

Und es war großartig! Denn Haspels Inszenierung feiert mit schöner Selbstverständlichkeit die 70er: Er hat Ausstatterin Tina Prichenfried im Humana-Kleidersack wühlen lassen. Er hat den durchwegs blutjungen Schauspielern ein lustvolles Deklamieren eingeimpft. Sodass jeder Gedanke, jeder Übergriff ganz aus dem Augenblick heraus geschöpft wird - am trefflichsten verkörpert in Gestalt Kaufmanns, der seinem schäbigen Dozenten eine hündisch-proletarische Eleganz verleiht.

Im vierten Akt spielen die beiden Herren der Schöpfung mit ihren (geschiedenen) Frauen noch einmal das große bürgerliche Wohlstandstheater in grässlichen Stangensakkos nach. "Potz Blitz!", heißt es da, wenn Spaghetti Carbonara gereicht werden. Magda (Susanna Bihari), zur Domestikenrolle verurteilt, singt überschnappend ein Edith-Piaf-Chanson. Potz Blitz, was für ein Stück! Haspel aber gebührt der Preis, ein begnadeter Museumswärter zu sein. (Ronald Pohl/ DER STANDARD, Printausgabe, 8.4.2010)