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Wer über andere herziehen will, soll das auf einer neuen Website ganz ungeniert (aber anonym) tun können.

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Seit Amazon Bücher verkauft, können sich Leser auch als Kritiker beteiligen. Seither gibt es im Netz Besprechungen über Restaurants, Hotels oder Produkte aller Art, häufig mit geharnischter oder auch bösartiger Kritik. Ein neues Start-up, Unvarnished (übersetzt: ungeschminkt), will "aufrichtiges" Online-Feedback jetzt auch über Personen ermöglichen. Das Prinzip ist einfach: Ein "Mitglied" des Klubs der ungeschminkten Besprecher legt ein Profil über eine Person an, so wie man Wikipedia-Seiten über Themen anlegen kann. Dann werden andere eingeladen, zu dieser Person und ihrem Profil ihre Kommentare abzugeben.

Hinter dem Start-up, das diese Woche in einer Beta-Version online ging, stehen eine Reihe von Silicon-Valley-Veteranen, die aus dem Auktionshaus Ebay, dem beruflichen Netzwerk LinkedIn und dem Softwarehersteller VMware kommen. Getunvarnished.com beschreibt sich "Marktplatz des Reputationsmanagements", bei dem mit dem guten - oder nach entsprechenden Besprechungen ruinierten - Ruf der unfreiwillig Beteiligten gehandelt wird.

Chancenlos

Allerdings gleicht das derzeitige Konzept eher einem Ort, an dem Schmutzwäschekübel entleert werden können. Denn wen immer die zweifelhafte Auszeichnung trifft, profiliert zu werden, hat keine Wahl: Weder Profil noch Kommentare können von der "ungeschminkt besprochenen" Person geändert oder gar gelöscht werden. Dies wäre, sagt einer der Betreiber von Unvarnished, gegen das Prinzip des ehrlichen Feedbacks: Auch ein Restaurant könne sich nicht aussuchen, wie die Kritik darüber ausfällt.

Autor oder Autorin des Profils sowie der Kommentare geben sich nicht mit ihrer wahren Identität zu erkennen, sondern sie signieren unter Bildschirm-Pseudonymen. Die Anmeldung zu Getunvarnished.com, sobald die Seite öffentlich zugänglich sein wird, erfordert zuerst eine Facebook-ID. Allerdings kennen nur die Betreiber den Zusammenhang zwischen Pseudonym und wirklicher Identität.

Diese Anmeldung mit wirklicher Kennung (Facebook-User identifizieren sich mit richtigem Namen und nicht mit Pseudonym, was jedoch nicht überprüft wird) soll die Benutzer zu Fairness anhalten, sagt Peter Kazanijy, einer der Gründer, auch wenn sie in der Folge anonym bleiben.

Kommentarbewertung

Wie bei Amazon-Buchkritiken oder Ebay-Verkäufern werden Kommentare von anderen Lesern mit Sternchen bewertet, Kommentatoren erhalten damit eine Art Bewertung. Damit, glaubt Kazanijy, würden allzu negative Autoren weiter unten gereiht, ihre Anmerkungen nicht so sichtbar sein. Die einzige Einflussnahme, die jemand versuchen kann, wenn er oder sie ungeschminkt in die Öffentlichkeit gezogen wird, besteht darin zu antworten oder wohlgesonnene Freunde zu positiven Kommentaren zu bewegen.

Der mediale Empfang für Unvarnished war geharnischt, vielleicht ein Vorgeschmack darauf, was die Betreiber anderen zumuten wollen: einen "Ort der Diffamierung", schrieb TechCrunch, und das war noch einer der zurückhaltenderen Kommentare. Gut möglich, dass es sich die Investoren noch einmal überlegen: Denn in einem so streit- und klagsbereiten Land wie den USA werden unerwünschte Besprechungen eher von Anwälten vor Gericht als durch wohlwollendere Freunde online korrigiert werden. (Helmut Spudich aus New York/ DER STANDARD Printausgabe, 3. April 2010)