Inhalte des ballesterer Nr. 51 (April 2010)
Ab sofort österreichweit im Zeitschriftenhandel

SCHWERPUNKT: TECHNIKER

Zeitgenössische Zangler
Wie falsche Neuner und doppelte Sechser die Zehner ablösen

Warum ein Jockey kein Pferd sein muss
Hannovers Co-Trainer Nestor El Maestro im Interview

Mit Schlapfen, Badetuch und Melone
Österreichs legendärste Badkicker

Verspielte Jugend
Wie der Nachwuchs von Ried, Austria und Vienna an der Technik feilt

Außerdem in der neuen Ausgabe:

»Wir wollten die Ultra-Logik brechen«
Roberto Massucci, hochrangiger italienischer Polizeivertreter, im Interview

GAK auf den Schädel tätowiert
Roland Kollmann über Vereinstreue, leidensfähige Fans und Masseverwalter

Kaizer für eine Saison
Markus Böcskör über sein Jahr in Johannesburg

Stadionarchitektur, Teil II
St. Pöltener Öko-Stadion und der Wettbewerb der Kleinen

Bälle und Cola für das Volk?
Vor der WM in Südafrika steigt der Unmut in der Bevölkerung

»Wir haben Spieler, die nicht einmal ihre Post selbst öffnen«
Jürgen Werner ist oft mehr als ein Spielermanager

Von der Natur zurück gewonnen
Fotostrecke zum alten Brünner Za-Luzankami-Stadion

Griechische Fandemokratie
Aris Thessaloniki gehört zu einem guten Teil den Anhängern

Groundhopping
Glückliches Verteidigungsministerium, verwehte Krankl-Spuren

Barometer
R.s Waffe, Diegos Zigarre und Sepps Organisation

Kump
Rollenspiel im Irish Pub

Dr. Pennwiesers Notfallambulanz
Der Leistenbruch

Foto: Cover Ballesterer

"Ich war sicherlich ein Dribblanski. Da wurde schon ab und zu ein bisschen geschimpft, dass ich zu viel den Ball halte."

Foto: Martin Beranek

ballesterer: Sie galten als technisch sehr versierter Spieler. War die jugoslawische Fußballschule verantwortlich für Ihre besonderen Fähigkeiten?
Tomislav Kocijan: In erster Linie ist es das Talent, das Gott dir schenkt. Außerdem gab es in meinem Kopf, seit ich denken konnte, nur Fußball. Mit zehn Jahren habe ich dann bei Varteks Varazdin zu trainieren begonnen. Dort waren wirklich gute Trainer, die den Spielern die Technik perfekt vorgezeigt haben: Ballführung, das richtige Schießen mit links und rechts, Ball stoppen und so weiter. Das Spiel war natürlich vor 25 Jahren nicht so von Taktik geprägt wie heute, kreative Spieler hatten mehr Freiheiten.

ballesterer: Ist aufgrund der taktischen Gewichtung die Technik im heutigen Spiel in den Hintergrund gerückt?
Kocijan: Nein, das nicht. Aber meistens dürfen die nicht, die etwas können. Dabei muss man gerade in der Jugend eigentlich fördern, dass jemand dribbelt. Ich habe von meinem Onkel viel gelernt. Er war zwar kein Sportler, sondern Pilot. Aber er kannte sich aus, las jede Sportzeitung und war Experte in jeder Sportart. Er hat auch Fußball geschaut und mir, besonders als ich noch klein war, immer gesagt: "Dribble, dribble, dribble! Wenn du einmal erwachsen bist, wirst du es nicht mehr dürfen."

ballesterer: Man spricht oft von den kroatischen Straßenfußballern. Waren Sie einer davon?
Kocijan: Absolut. Ich komme aus einem Dorf, wir hatten dort viel Platz, und nach der Schule rannten wir nur raus, um mit den Nachbarn zu spielen. Fußball war für uns ein Ausweg, eine Chance, die weite Welt zu sehen und etwas zu erreichen. Wer sportliches Talent hatte, hat alles dafür unternommen, es zu schaffen.

ballesterer: Es ist auffällig, dass die Kroaten den Österreichern in allen Ballsportarten überlegen sind. Woran liegt das?
Kocijan: Wir hatten schon in der Hauptschule Programme, in der alle Sportarten trainiert wurden. Als ich vor 20 Jahren durch Otto Baric zu Vorwärts Steyr gekommmen bin, stand die Wintervorbereitung auf dem Programm. Wegen des schlechten Wetters haben wir zum Teil in der Halle trainiert. Baric sagte: "Wir spielen Basketball zum Aufwärmen." Wir waren nur drei Ausländer, alle anderen Österreicher. Sie können sich nicht vorstellen, wie komisch das ausgeschaut hat. 15 Österreicher, die keine Ahnung hatten, was sie jetzt tun sollen. Fußball spielen konnten sie ja, aber im Oberkörper? Überhaupt kein Gefühl für die Bewegung, kein Stil. Bei uns Kroaten ist das unvorstellbar. Ich habe für meine Schule Handball, Basketball, Tischtennis, Fußball und vieles mehr gespielt. Und wir haben das auch alles gelernt, jede Sportart für sich. Dadurch hat sich der Körper so entwickelt, deshalb sind wir besser mit dem Ball.

ballesterer: Dennoch spielt Ihr 17-jähriger Sohn Anel im Nachwuchs von Sturm Graz. Sind die Trainingsbedingungen in Österreich besser geworden?
Kocijan: Es gibt noch viel Raum, alles besser zu machen. Die wichtigsten Trainer im Verein sind die Nachwuchstrainer. Die Vereine müssen in die Trainerstäbe in diesem Bereich genauso viel investieren wie in jene der Kampfmannschaft. Man darf nicht vergessen, dass diese paar Trainer im Nachwuchs am Ende das große Geld für den Verein machen, wenn Eigenbauspieler später als gestandene Profis weiterverkauft werden können. Du kannst keine Qualität erwarten, wenn du nur wenige Profis im Nachwuchsbereich als Trainer hast. Und die Generation meines Sohnes ist ohnehin eine Katastrophe.

ballesterer: Wirklich?
Kocijan: Katastrophe ist zu hart gesagt. Aber die Burschen sind jetzt 18 Jahre alt. Das ist Sturm Graz, Bundesliga, und du siehst keinen Spieler, der dich absolut begeistert. Drei oder vier müssten in jeder Mannschaft sein, die absolut top sind. Ich habe kürzlich Leo Lainer getroffen, der Scout bei Salzburg ist. Er hat sich ein Spiel meines Sohnes angeschaut, in dem sie Rapid 2:1 geschlagen haben. Ich habe ihm schon vorher gesagt, dass er nichts sehen wird. Er musste mir nach dem Spiel recht geben. Eine schlechte Generation entsteht schnell. Oft werden Spieler in die Akademie aufgenommen, weil sie mit einem Trainer gut sind oder sich mit jemand anderem gut verstehen. Am Ende werden zehn Burschen bis zu den Amateuren mitgeschleppt, die nur wenig Qualität haben, dabei muss man mit 18 Jahren eigentlich schon ein fertiger Spieler sein. Doch es ist nicht nur die Ausbildung, es hapert auch beim Scouting.

ballesterer: Kann es sein, dass in Österreich zu viel Wert auf körperliche Fitness gelegt und auf die Technik vergessen wurde?
Kocijan: Schwierig zu sagen. Mit Willi Ruttensteiner hat eine Verbesserung eingesetzt, weil er Technik im ÖFB forciert. Es wird immer besser, aber das dauert. Ruttensteiner hat wirklich gute Ideen, der ÖFB hat das Geld, fördert Individualtrainings bei den Vereinen und investiert viel. Aber das Problem ist, diese Ideen bei den Klubs durchzusetzen. Wenn du vom Präsidenten von Gratkorn verlangst, dass er die Nachwuchstrainer bezahlt, dann wird er Nein sagen, weil er es sich nicht leisten kann und will.

ballesterer: Hatten Sie Probleme mit Ihren Trainern, weil Sie ihnen zu verspielt waren?
Kocijan: Die Trainer sind natürlich selten zufrieden. Aber ich habe viele Positionen gespielt, vom Stürmer bis zum Libero. Meine beste Position war das offensive Mittelfeld, weil ich sicherlich ein Dribblanski war. Da wurde schon ab und zu ein bisschen geschimpft, dass ich zu viel den Ball halte. Aber eigentlich alles halb so schlimm.

ballesterer: Wie kommt es eigentlich zu diesen Tricks aus dem Spiel heraus, sind die geplant?
Kocijan: Nein, das entsteht einfach. Das ist diese Fähigkeit, die dir in der Zehntelsekunde in den Kopf schießt, in der du entscheidest, dass du einen Haken machst. Manchmal kommt es der Planung nahe. Wenn du dribbelst, in den Sechzehner kommst und weißt, der Verteidiger wird rutschen oder will dich abblocken: dann weißt du schon etwas früher, was du machst. Aber in einem kleineren Raum, wo zwei oder drei Gegner sind und du schnell entscheiden musst, passiert alles intuitiv.

ballesterer: Gibt es einen Trick, auf den Sie im Nachhinein besonders stolz sind?
Kocijan: Zumindest einer ist hängen geblieben: Ich kann mich an ein Spiel mit Salzburg gegen Spittal im Cup erinnern, da bin ich zwei Mal im Strafraum über den Ball getanzt. Also, ich bin auf den Ball gestiegen und habe mich gedreht. Auch das Dribbling und der Stanglpass, der direkt zum Torerfolg führte, hat funktioniert, es ist also alles aufgegangen. Das war eine Situation, die mir geblieben ist. Aber eigentlich war ja meine ganze Karriere nur Dribbling. (lacht) Die Gegenspieler verarschen, grob und fußballerisch gesagt.

ballesterer: Als Sie 1995 im Salzburg-Dress um den Supercup gespielt haben, wurden Sie von Rapid-Spieler Peter Guggi schwer gefoult. Hätten Sie sich im Laufe Ihrer Karriere mehr den viel zitierten Schutz der Kreativspieler gewünscht?
Kocijan: Jeder Spieler muss geschützt werden, aber natürlich besonders die Nummer 10, von der es heute ohnehin nur mehr wenige gibt. Gesunde Härte hat mir nie etwas ausgemacht, und dieses Foul von Peter Guggi war nicht schön anzusehen, aber es war keine Absicht. Peter hat sich damals auch entschuldigt. Wir kennen uns, das ist kein Problem.

ballesterer: Wenn wir einen Bogen zu heutigen Spielern schlagen: Was halten Sie von Cristiano Ronaldo? Übertreibt er mit seinen vielen Übersteigern und seiner arroganten Spielweise?
Kocijan: Er übertreibt es natürlich ab und zu. Aber wenn er wirklich will, dann schießt er auch seine Tore. Osim hätte ihn als »Zirkusant« bezeichnet, weil Fußball ja doch ein Mannschaftssport ist. Aber trotzdem ist es schön, dass es solche Spieler gibt.

ballesterer: Es gibt ja auch extreme Beispiele von technisch hochbegabten Fußballern, nennen wir sie "Badkicker", denen der Durchbruch am großen Feld verwehrt bleibt. Woran kann das liegen?
Kocijan:
In Kroatien gibt es viele, die auf ein paar wenigen Quadratmetern gut sind, es aber am Feld nicht schaffen. Hallenfußball hat etwa in Zagreb eine große Tradition, von hundert "Zauberern" schafft es vielleicht einer zum Profi. Viele wollen vielleicht gar nicht, weil sie einfach keinen Spaß haben, auf so einem großen Platz zu spielen und so viel laufen zu müssen.

ballesterer: Angenommen, Sie würden einen jungen Spieler wie Marko Arnautovic im Team haben: Wie würden Sie mit ihm umgehen, um ihn bis nach oben zu bringen?
Kocijan: Leider gibt es solche Spieler nur selten. Dabei sind sie es, die eins gegen eins gehen, die Überzahl und damit auch den Unterschied ausmachen. Aber wenn ich einen "Zauberer" habe, gebe ich ihm zu hundert Prozent Freiheit. Die restliche Mannschaft muss ein bisschen mitlaufen für ihn. Das heißt nicht, dass er immer stehen bleiben kann. In meinen zwei Jahren bei Flavia habe ich zu meinen kreativen Spielern immer gesagt: "Du musst 90 Minuten nichts machen, aber von vier oder fünf Dribblings machst du zwei Tore, und das passt." Man muss froh sein, wenn man solche Spieler hat. Ich war ein Kreativer, und auch wenn ich als Trainer eine gewisse Disziplin, Ordnung und Taktik mag: Ohne solche Spieler bist du arm dran.

ballesterer: Sehen Sie die "Zirkusanten" durch die Entwicklungen im aktuellen Fußball mit seiner Körperlichkeit als vom Aussterben bedroht?
Kocijan: Blödsinn. Fußball ist Spaß, du kannst mit fünf Offensiven spielen, wenn sie bereit sind zu laufen und zusammen mit den anderen kompakt auftreten. Es dreht sich immer um die Bereitschaft, alles zu tun, um der Mannschaft zu helfen. Ich möchte nicht von "kämpfen" reden, denn, und auch das hat Osim gesagt: Fürs Kämpfen gehen wir in den Krieg.

ballesterer: Sie haben eine erfolgreiche Karriere hinter sich, dennoch hat man das Gefühl, bei diesen Anlagen hätte noch mehr aus Ihnen werden können. Was hat am Ende gefehlt zu einem Davor Suker oder einem Zvonimir Boban?
Kocijan: Ich habe in wenigen Lehrgängen im Nationalteam mit diesen großen Spielern spielen dürfen und gesehen, dass ich mithalten konnte. Aber sie sind einen anderen Weg gegangen. Ich habe in der dritten Liga in der kleinen Stadt Varazdin gespielt und musste mich langsam nach oben arbeiten. Die später großen Spieler waren bei den Klubs wie Hajduk Split und Dinamo Zagreb. Sie sind nicht den Umweg über Österreich gegangen, sie waren gleich in Spanien oder Italien. Aber ich hatte eine sehr erfolgreiche Karriere in Österreich und darf nicht unzufrieden sein. Ich habe eigentlich alles erreicht, was ich wollte. (Peter Wagner)