Bild nicht mehr verfügbar.

Michael Rendl will Hautzellen umprogrammieren und zusammen mit kultivierten Stammzellen implantieren, um auf diese Weise Haare zu reproduzieren.

Foto: Archiv

STANDARD: Sie arbeiten mit Stammzellen. Wo überall im Körper befinden sich die eigentlich?

Rendl: Am meisten ist über Stammzellen in den Keimzellen, im Knochenmark sowie in Haut und Haar bekannt. Man weiß auch, dass es Nerven- und Muskelstammzellen gibt. Optimistischerweise ließe sich vermuten, dass jedes Organ Stammzellen hat. Aber das ist noch nicht klar.

STANDARD: Besonders interessieren Sie sich für Nischenzellen. Was hat es damit auf sich?

Rendl: Stammzellen können im Körper in Nischen vorkommen, einer speziellen Mikroumgebung. Das gilt auch für die Hautstammzellen, die wir beforschen. Wenn Haare wachsen, leiten die Nischenzellen die Abkömmlinge der Stammzellen im Inneren des Haarfollikels nach oben, wo sich diese differenzieren, absterben und als totes Material ausgestoßen werden. Die Zellen opfern sich, um als fertiges Haar an der Hautoberfläche herausgedrückt zu werden.

STANDARD: Aber Haare wachsen ja nicht immer.

Rendl: Diese Wachstumsphasen können beim Menschen Jahre dauern. Doch dann stoppt es plötzlich. Davor stirbt nahezu der gesamte Haarfollikel ab, nur die Stammzellen im oberen Teil und die Nischenzellen überleben. Interessant ist hier die Regulierung. Man nimmt an, dass Nischenzellen am Ende der Ruhephase Signale an die Stammzellen abgegeben, woraufhin sich diese zu teilen beginnen.

STANDARD: Woran forschen Sie konkret?

Rendl: Bei unseren Forschungen versuchen wir, reguläre Hautzellen in haar- und stammzellenproduzierende Nischenzellen umzuprogrammieren. Das könnte einen schönen Durchbruch zur Funktionsweise von Nischenzellen bringen, ist allerdings ein riskanter Zugang, der vielleicht nicht funktionieren wird. Zusätzlich versuchen wir Mausmodelle aufzustellen, mit denen man Nischenzellen mutieren kann. Das dürfte noch in diesem Jahr funktionieren.

STANDARD: Was könnte dabei therapeutisch herauskommen?

Rendl: Dass man Patienten Hautzellen entnimmt, sie in einer Zellkultur wachsen lässt, in Nischenzellen umprogrammiert und diese zusammen mit den Stammzellen, die man ebenfalls kultiviert, wieder einsetzt. So könnten sich Haare reproduzieren lassen. Aber das liegt weit in der Zukunft. Selbst wenn alle Mechanismen bekannt sind, bleibt die Frage, ob es sich technisch umsetzen lässt. Aber es geht nicht nur darum, Leuten wieder Haare wachsen zu lassen. Es ist ein biologisches Modellsystem: Was in den Nischen der Haarstammzellen geschieht, lässt sich möglicherweise auch auf andere Stammzellnischen umlegen.

STANDARD: Das heißt, auch andere Stammzellen zum Wachsen zu bewegen?

Rendl: Da steckt eine sehr populäre Idee dahinter: Wenn man die richtigen Kontrollmechanismen kennt, lassen sich Zellschicksale verändern. Das Extrembeispiel ist, normale Hautzellen zu nehmen und sie umzuprogrammieren, was dem japanischen Forscher Shinya Yamanaka 2006 erstmals gelang. Aus diesen sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) lassen sich sämtliche Zelltypen und Gewebe des Körpers bauen. Zur Umprogrammierung werden Gene mithilfe von Virenbausteinen eingeschleust, was aber zu Mutationen und Tumoren führen kann.

STANDARD: Gibt es Alternativen?

Rendl: Unser Zugang ist es, Zellen zu finden, die besser reprogrammierbar sind. Nervenstammzellen etwa produzieren drei der vier zur Umprogrammierung wichtigen Proteine bereits selbst. Wir haben entdeckt, dass auch Nischenzellen in der Haut drei dieser vier entscheidenden Proteine produzieren. Über die erhöhte Konzentration von zweien konnten wir bereits iPS-Stammzellen mit embryonalen Eigenschaften schaffen. Jetzt testen wir, ob sich dasselbe Ergebnis mithilfe nur eines einzigen eingeschleusten Gens erreichen lässt. Das Ziel ist, überhaupt keine Viren mehr einzusetzen und damit das Krebsrisiko loszuwerden. Das wäre ein riesiger Durchbruch.

STANDARD: Was könnte das für die medizinische Praxis bedeuten?

Rendl: Es ist die große Hoffnung der regenerativen Medizin, dass man später einmal alle Zellen und Gewebe ersetzen und erneuern kann. Derzeit läuft die erste Studie zu einem von der US-Gesundheitsbehörde FDA genehmigten Verfahren, wo Patienten mit Rückenmarksverletzungen aus embryonalen Stammzellen generierte Nervenzellen transplantiert bekommen.

STANDARD: Sie leiten seit zwei Jahren Ihr eigenes Labor an der Mount Sinai School of Medicine in New York. Wie ist das finanziert?

Rendl: Ich erhielt bei dem Job hier ein sehr kompetitives Startpaket, mehr als eine Million Dollar. Das funktioniert dann wie ein eigenes Unternehmen: Die Räumlichkeiten stehen zur Verfügung, aber ich stelle selbst Leute an, bezahle sie, ebenso alle Experimente. In der Zwischenzeit ist es mir gelungen, Forschungsgelder der National Institutes of Health über zwei Mio. Dollar zu sichern. Hinzu kommen zwei Projektfinanzierungen von einer Stammzellinitiative des Bundesstaats New York. Mit dem Startpaket bezahle ich auch mich selbst. Wer jedoch kein weiteres Geld hereinbringt, wird nach wenigen Jahren hinausgeworfen. (/DER STANDARD, Printausgabe, 31.03.2010)

=> Wissen: Schnittstelle für umtriebige Forscher

Wissen

Schnittstelle für umtriebige Forscher

Wenn im Ausland tätige Forscher aus Österreich den Wunsch haben, sich für eine etwaige Rückkehr wieder mit der heimischen Community zu vernetzen, dann gibt es dafür eine gute Adresse: Brainpower Austria. Über das Netzwerk, das zurzeit mehr als 2500 registrierte Forscher umfasst, wird der Kontakt zwischen Wissenschaftern im Ausland und der österreichischen Forschungslandschaft erleichtert, Einladungen von internationalen Forschern zu Diskussionen und Vorträgen sowie die Organisation von Austrian Science Talks fördern den Austausch.

Eine Online-Jobbörse bündelt mit knapp 600 registrierten Jobanbietern einen Großteil aller online verfügbaren F&E-Stellen in Österreich, außerdem gibt es finanzielle Unterstützung für die Anreise zu Vorstellungsgesprächen und den Umzug nach Österreich. Im Rahmen der vom Infrastrukturministerium finanzierten Initiative werden auch Stipendien vergeben, um die Internationalisierung der größten außeruniversitären Forschungseinrichtungen voranzutreiben.

Brainpower Austria ist ursprünglich angetreten, den Braindrain heimischer Wissenschafter, die im Ausland bessere Arbeitsbedingungen vorfinden, zu stoppen. (red/DER STANDARD, Printausgabe, 31.03.2010)