Ohne SympathisantInnen "wäre die Anklage der finanzielle Ruin": Tierrechtsprozess

Foto: Newald

Die Betreuerin beim Arbeitsmarktservice hielt es erst für einen Scherz. Dass die junge Dame monatelang keine Schulung besuchen könne, weil in dieser Zeit gerichtlich geklärt werde, ob sie einer kriminellen Organisation angehört, "das gibt es nicht", meinte die AMS-Mitarbeiterin. "Die wissen halt auch nicht genau, wie sie damit umgehen sollen", sagt Sabine Koch. Koch ist eine der 13 Angeklagten im Tierrechts-Prozess. Drei Tage pro Woche verbringt sie am Gericht in Wiener Neustadt. An den zwei übrigen Werktagen versucht die ausgebildete Hundetrainerin, sich mit geringfügigen Arbeiten über Wasser zu halten. Sie bezieht Arbeitslosengeld - noch. "Ich weiß nicht, wie lange das noch gut geht. Das hängt ja ziemlich davon ab, wer deine AMS-Beraterin ist."

"Könnte schwierig werden"

Chris Moser hat es schlechter erwischt. Das AMS prüfe gerade, ob er Anspruch auf Arbeitslosengeld hat oder nicht. Vorsorglich hat man den Bildhauer gewarnt, dass "es schwierig werden könnte": Da der Tiroler wegen der Verhandlungstage und der Anreisezeiten vier Tage wöchentlich unabkömmlich ist, gilt er als nicht jobsuchend. Fazit: Kein Arbeitslosengeld. Dazu kommt, dass während Mosers prozessbedingter Abwesenheit auch die drei Kinder unversorgt blieben, hätte nicht die Lebensgefährtin ihren Job gekündigt. Auch sie dürfte kein Arbeitslosengeld beziehen - denn wegen der Betreuungspflichten stehe sie laut AMS "dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung."

Egal, ob der Tierrechtsprozess mit Schuld- oder Freisprüchen endet: Gravierende finanzielle Folgen für die Betroffenen hat er bereits jetzt. Chris Mosers fünfköpfige Familie lebt derzeit von Spenden. Dass sie in einem alten Bauernhaus wohnt, mit Holz heizt, auf ein Auto verzichtet und auch sonst sparsam lebt, kommt dem entgegen - "wir brauchen nur 1200 Euro im Monat", sagt Moser. Gelassen ist er dennoch nicht: Aus heutiger Sicht dauert der Prozess noch bis Herbst. Sollte der Fall in die nächste Instanz gehen, verlängert sich das prekäre Leben auf unbestimmte Zeit.

"Total desorientiert im Leben"

Von einem "Riesenschaden" spricht der Angeklagte Elmar Völkl. Dass bei ihm vier Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden,  Hardware beschlagnahmt und Sicherheitstüren zerstört wurden, meint er damit ebensowenig wie die Kosten für Rechtsberatung. Völkl spricht von seiner Karriere. Am Tag, als er in U-Haft kam, sei der Elektrochemiker und Uni-Assistent an der TU Wien kurz vor der Promotion gestanden. Zwar arbeitete er auch nach der Freilassung weiter an der Dissertation. "Aber nach 100 Tagen U-Haft ist man ja total desorientiert im Leben." Wäre alles nach Plan gelaufen, "dann würde ich heute in der Industrie arbeiten, mit 2200 Euro netto Anfangsgehalt", sagt Völkl. Stattdessen bezieht er Arbeitslosengeld - "knapp 800 Euro".

200.000 Seiten Lektüre

"Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben arbeitslos", sagt Jan K. Dass er trotz der Verhandlungstermine als vermittelbar gilt, bezeichnet er als "Glück". Mit wenig Geld auszukommen, sei er gewöhnt. Dennoch "ist es mir lieber, ích entscheide mich selber gegen eine Karriere, als wenn irgendeine Soko das für mich tut". Doch der Prozess bindet auch andere Ressourcen: Rund 200.000 Seiten Anklageschrift habe K. blslang durchgeackert, plus diverse Rechtsquellen. "Andere hätten mit diesem Aufwand einen Bachelor-Abschluss geschafft", ist er überzeugt.

Ohne FreundInnen "der Ruin"

Ob arbeitslos oder Uni-Assistent: Alle Angeklagten waren in den letzten zwei Jahren auf massive Unterstützung durch Bekannte und Familie angewiesen. FreundInnen kamen während der 100-tägigen U-Haft regelmäßig in die Wohnungen der Inhaftierten, um Türen zu reparieren, Haustiere und Pflanzen zu versorgen und Rechnungen zu bezahlen. Das Pendeln zwischen Wien und Wr. Neustadt, Kosten für Rechtsberatungen und Gutachten, veganes Essen in den Verhandlungspausen - alles wird von Bekannten und UnterstützerInnen bezahlt und organisiert.

Das Geld stammt von "Soli-Veranstaltungen" - also Festen, Flohmärkten, Konzerten zur Unterstützung der TierrechtlerInnen. "Ohne soziales Netzwerk wäre die Anklage für mich der finanzielle Ruin", sagt Sabine Koch. Das Paradoxe daran: Ohne jene Netzwerke, die jetzt fürs Überleben sorgen, wären die Betroffenen wohl erst gar nicht vor Gericht gelandet. Denn für den Mafia-Paragrafen zählen nicht konkrete strafrechtsrelevante Vorwürfe, sondern allein die Tatsache, dass man mit einer Organisation, die als kriminell gewertet wird, in Verbindung gestanden ist. 

"Jetzt haben wir vier Wochen hinter uns. Es läuft noch", sagt Chris Moser, der zwei Mal wöchentlich von seinem Berghaus in der Nähe von Wörgl zum Gericht in Wiener Neustadt pendelt. Das ÖBB-Jahresticket haben ihm FreundInnen finanziert. "Eine Fahrt hin und retour kostet 100 Euro. Ohne Jahresticket wäre ich schon nach zwei Wochen pleite gewesen", sagt Moser. Wirklich freuen über die Unterstützung der FreundInnen kann er sich dennoch nicht: Vom guten Willen anderer abhängig zu sein, sei belastend - "vor allem für jemanden wie mich, der immer vom selbstbestimmten Leben schwadroniert." (derStandard.at, 31.3.2010)