Russland-Experte Mangott

Foto: Universität Innsbruck

Der Russlandexperte Gerhard Mangott vom Innsbrucker Institut für Politikwissenschaften erklärt im Gespräch mit derStandard.at die Hintergründe des Doppelanschlags auf die Moskauer Metro. Dass die Spur in den Nordkaukasus führt, scheint ihm sicher.

derStandard.at: Der Vorsitzende des Sicherheitsausschusses der Staatsduma vermutet, es handle sich bei dem Anschlag um eine Racheaktion nordkaukasischer Terroristen für die Tötung eines ihrer Kader. Was war Ihre erster Gedanke?

Gerhard Mangott: Es spricht vieles für diese These. Bei dem von Sondereinheiten des Inlandsgeheimdienstes getöteten Mann handelte es sich um einen ethnischen Russen, der für technische Operationen wie lokale Anschläge zuständig war. Das kann natürlich ein Anlassfall sein, noch einmal deutlich zu machen, dass man trotz aller lokaler und föderaler Maßnahmen jederzeit in der Lage ist, sich zu restrukturieren und auch außerhalb des nördlichen Kaukasus solche Operationen durchzuführen. Der Anschlag selbst macht deutlich, dass die Terroristen ein Signal an die politische Führung und die Bevölkerung senden wollten, dass der Konflikt im Nordkaukasus auch nach nunmehr 19 Jahren nicht gelöst werden konnte.

derStandard.at: Eine der Explosionen hat sich in unmittelbarer Nähe zum Hauptquartier des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB ereignet. Zufall oder Absicht?

Mangott: Das war sicher genau so geplant. Die Tötung des technischen Leiters im Nordkaukasus war ja eine FSB-Aktion, wenn es sich also um eine unmittelbare Racheaktionen gehandelt haben sollte, scheint die Auswahl dieser U-Bahnstation logisch.

derStandard.at: Jüngst gab es einen Skandal um gefälschte Videoaufzeichnungen in der Moskauer U-Bahn. Sind die Sicherheitsvorkehrungen ausreichend?

Mangott: Es ist geradezu unmöglich, solche Anschläge in der Moskauer U-Bahn zu verhindern – so wie eigentlich in allen derartigen U-Bahnen. Sie ist eben ein weiches Ziel und damit ein primäres Ziel terroristischer Aktionen. Angesichts der enormen Frequentierung der U-Bahn ist es nicht möglich, dem technisch vorzubeugen, etwa durch Metalldetektoren oder Bodyscans. Dass die Moskauer U-Bahn schon oft Ziel terroristischer Anschläge war, zuletzt 2004, zeigt ja, dass nicht mangelnde Sicherheit Schuld trägt, sondern schlicht und ergreifend der Umstand, dass die U-Bahn nicht zu schützen ist.

derStandard.at: Bei diesem letzten Anschlag vor sechs Jahren war noch Wladimir Putin Präsident Russlands. Hat sich seit dem Machtwechsel zu Dmitri Medwedew in Punkto Kaukaususpolitik etwas geändert?

Mangott: Es hat sich seither sicher das Bewusstsein dafür intensiviert, dass eine der vielen Ursachen der zunehmenden Radikalisierung der nordkaukasischen Muslime die enorme soziale Krise ist. Diese Ansicht hat aber schon unter Putin begonnen sich einzustellen. Diese Region zählt zu den wirtschaftlich strukturschwächsten in Russland, sämtliche positiven makroökonomischen Entwicklungen, also zum Beispiel Wirtschaftswachstum, steigende Reallöhne, steigende Beschäftigung, treffen auf den nördlichen Kaukasus einfach nicht zu. Der Nordkaukasus hat ein großes Bevölkerungswachstum, es handelt sich um eine sehr junge Bevölkerung, vor allem die jungen Männer bilden angesichts der sozialen Krise den Humus für islamische Radikalisierung.

Dieses Phänomen kennen wir auch als anderen Weltregionen. Darüber hinaus herrscht auch eine große Unzufriedenheit mit den lokalen politischen Führungen, die korrupt und ineffizient sind und oftmals mit der Moskauer Bürokratie zusammenarbeiten. Als dritter, oft vergessener Faktor kommt noch die extrem stark verwurzelte Klanstruktur dieser Region dazu. Es ist also nicht nur ein Konflikt zwischen der nordkaukasischen Region und der Moskauer Zentrale, sondern auch ein Kampf zwischen den einzelnen Klans und Völkern dieser Region. Die Brutalität, mit dem die russischen Sicherheitskräfte im Nordkaukasus vielfach vorgehen, trägt natürlich auch zu der Radikalisierung der Bevölkerung bei. Deshalb dürfte es mit dem Ruf nach mehr militärischer und polizeilicher Präsenz auch nicht getan sein, weil gerade die willkürlichen Entführungen und Morde durch die Hand der Moskauer Behörden mit an der Situation schuld sind.

derStandard.at: Der Konflikt dauert nun schon seit den Neunzigerjahren an. Warum gelingt es Moskau nicht, diese Region zu befrieden?

Mangott: Man hat schon ab 1994 über militärische Gewalt, also sicherheits- und nachrichtendienstliche Operationen versucht, führende Zellen des Widerstands auszuschalten. Das hat überhaupt nicht funktioniert. Selbst Ramsan Kadyrow, der ebenso brutale wie moskautreue Präsident Tschetscheniens, ist daran gescheitert. Vor allem, weil es danach eine Art Diffusion der Kämpfer über den gesamten Nordkaukasus und somit eine Verschmelzung der lokalen Fehden zu einem größeren Konflikt gegeben hat. Insofern hat man früh erkannt, dass es diesen Wechsel zu einer sozialen und wirtschaftlichen Strategie braucht. Der neue Bevollmächtigte des Präsidenten, Alexander Chloponin, kommt aus dem Big Business und dient als Symbol, dass man die wirtschaftliche Dimension zur Stabilisierung des Nordkaukasus ernst nimmt. Die momentane budgetäre Situation Russlands macht die Situation natürlich nicht leichter.

derStandard.at: Kann es auch sein, dass die Spur in den Nordkaukasus eine falsche ist?

Mangott: Das würde mich schon sehr überraschen. Es gibt in Russland immer wieder Spekulationen über eine sehr militante rechtsextreme Szene. Man darf das natürlich nicht ausschließen, aber das Muster deutet stark auf einen islamistischen Hintergrund hin, weil es ja auch schon eine Geschichte dieser Art des Terrors in Moskau gibt. Es spielt aber überhaupt keine Rolle, ob es nun tschetschenische oder dagestanische oder inguschische Terroristen waren. "Tschetschenien" ist schon eine Art Codewort für diesen amalgamierten Konflikt, dass die Anschläge aber einen nordkaukasischen Hintergrund haben, scheint mir gänzlich sicher. (flon, derStandard.at, 29.3.2010)