Primitiver Sport? I wo!

Vor mit der rechten Faust, und der linke Fuß muss mitgehen. Die rechte Hand am Gesicht, am Hals, angewinkelt, bereit zur Deckung. Anspannung. Dann mit der linken Faust, dem rechten Fuß. Und vorwärts. Drei Schritte, vier, fünf. Und zurück. Das schreibt sich leichter als es tatsächlich ist: "Boxen hatte früher den Ruf, eine primitive Sportart zu sein. Das nicht mehr der Fall, es ist populär geworden", erzählt Barbara Tutschka.

"Inzwischen weiß man, dass Boxen einen hohen ästhetischen Anteil hat und man sich sehr konzentrieren muss. Auf der einen Seite powert man sich körperlich aus, aber der geistige Anspruch ist ebenfalls sehr hoch. Man muss auf die Schnelligkeit achten. Auf die Konzentration. Auf die Kondition. Auf Kraft, Ausdauer. Es ist ein Ganzkörpertraining mit hohem Anspruch." Sie weiß, wovon sie spricht.

Foto: Markus Hammer

Realitätstest

Tutschka ist Österreichische Staatsmeisterin und Wiener Landesmeisterin in Thaiboxen, und auch den Europacup im Sanda (chinesische Boxdisziplin mit Würfen, Anm.) hat sie gewonnen. Dabei hat sie relativ spät mit Kampfsport angefangen: "Mit 27, dafür sehr intensiv." Und zwar weder Boxen, noch Sanda, noch Thaiboxen, nein: Shaolin Kung Fu. "Da geht es darum, sich auf alle möglichen Situationen so schnell wie möglich einstellen zu können, quasi schon im Vorhinein zu spüren, was als nächstes passiert. Da gibt es aber keinen Realitätstest: Bin ich wirklich so schnell, wenn mir jemand gegenüber steht?"

Das wollte sie bald wissen. Thaiboxen bot sich ihr als dem Shaolin verwandte Vollkontakt-Disziplin an.

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Intensiver Unruhestand

"Ich fand das super. Wenn eine Person vor dir steht - und es ist egal, ob sie ganz gut ist oder ganz schlecht - ist es jedes Mal eine Herausforderung." Man wisse nie, was passiert, schwärmt sie, man müsse sich immer wieder auf etwas Neues einstellen. "Ich hab' voll durchgestartet - wenn ich was mache, dann immer sehr intensiv. Das ist auch ganz schnell gegangen." Zack, war sie bei der Staatsmeisterschaft, zack, hat sie die gewonnen.

"Und wenn man mal gewonnen hat, dann will man natürlich nochmal gewinnen." Landesmeisterschaften folgten, Sieg folgte, Disziplinen-Spektrum erweitert, wieder gewonnen. Und 2009 nach der Weltmeisterschaft das Ende der aktiven Zeit.

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Der Plan

"Dann ging es darum: Was mache ich jetzt mit meiner Leidenschaft zum Boxen und Thaiboxen?" Sie wollte etwas machen, am liebsten mit Frauen, weil es nichts in diese Richtung gibt. "Für mich selber war es ein Problem, andere Frauen zu finden, die mit mir trainieren, außer bei den Wettkämpfen selber hatte ich nur mit Männern zu tun."

Erst wollte Tutschka ein Netzwerk für Frauen schaffen, die aktiv kämpfen, aber das hat - noch - nicht funktioniert, weil es - noch - nicht so viele Sportlerinnen in dem Bereich gibt. "Und die wenigen machen auch abgewandelte Sachen wie K-1 (Erweiterung des Thaiboxens, Anm.), Kickboxen, mit Semi- oder Leichtkontakt, mit Vollkontakt. Oder Karate. Im Thaibox-Nationalteam sind wir zur Zeit nur drei Wienerinnen."

Aber sie kennt Angela Mazzora. "Ich hab ihr davon erzählt, wie das wohl wäre: Ein Boxverein nur für Frauen." Und Mazzora meinte, sie sollten es einfach mal probieren.

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Mach's einfach

"Mein Motto war: Verlieren können wir ja nix. Wir riskieren nur, dass keine kommt." Das war der Start der "Boxfabrik", Österreichs erstem und bislang einzigem Frauenboxverein.

Die Befürchtung, dass sich niemand dafür interessiert, was die beiden auf die Beine stellen wollten, wurde auch gleich entkräftet: Schon am ersten Abend, an dem sich Mazzora Abends in einem Lokal mit Flyern für den Verein postiert hat, ist eine Gruppe Mädels förmlich über sie hergefallen: "Sie haben mir die Zettel aus der Hand gerissen und gemeint, dass sie erst ein paar Tage zuvor darüber geredet haben, wie toll Boxen doch wäre." Die Wahrscheinlichkeit, dass gar keine kommt, sank also drastisch: "Ich dachte mir, um die fünf Frauen sind auf jeden Fall dabei."

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Sting like a Bee

Mazzoras eigenes Interesse am Boxen wurde schon früh durch ihren Vater geweckt, der bei Muhammed Alis Kämpfen mitgefiebert hat, klassisch mit einem Bier vor dem Fernsehgerät. "Das mochte ich irrsinnig gern. Und ich habe mich geärgert, dass man da als Mädchen schief angeschaut wird, wenn man das mag." Direkteren Kontakt zum Sport hat Mazzora gehabt, wenn sie Barbara Tutschka zu den Wettkämpfen begleitet hat: "Und meine Nerven weggeschmissen habe", erinnert sie sich lachend.

Die Vereins-Kassiererin und Obfrau-Stellvertreterin hat auch selber geboxt (ganz rechts, hockend im Bild) und am Anfang der Boxfabrik auch noch mittrainiert. "Das geht halt nicht mehr."

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Wie im Film

Denn aus den erhofften fünf Teilnehmerinnen wurden deutlich mehr: "Wir haben probeweise ein Tanzstudio für drei Termine angemietet - und es sind so viele interessierte Frauen gekommen, dass wir das mit Voranmeldung machen mussten, weil mehr als zehn Leute dort gar nicht reingepasst haben." Schnell war klar: Ein Boxsack und eine Boxbirne und mehr Platz müssen her, "sonst klappt das alles nicht."

"Wir haben bei bestehenden Vereinen angefragt, ob wir eine Kooperation machen können - da hatten wir schon unseren Namen 'Boxfabrik'. Wir haben uns das so super vorgestellt, in einem Backsteingebäude und so richtig Klischee, wie man's aus einem Film kennt." Aber  entweder haben die Verantwortlichen gemeint, dass das sowieso nicht gehen wird mit einem Frauenverein, "oder sie wollten uns ihren Stempel aufdrucken: so wie sie das machen, so müssen's wir auch machen."

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Eigener Weg

"Das Frauentraining haben viele Vereine auch gar nicht verstanden", ergänzt Tutschka, "worin der Unterschied liegt, warum es ein geschlossener Raum sein muss, warum es eben nicht geht, wenn hinter einer Glasscheibe trainiert wird und davor die Burschen Gewichte stemmen."

Außerdem hätten fremde Konditionen auch geheißen, dass sie den Namen "Boxfabrik" nicht verwenden hätten dürfen. "Da haben wir beschlossen, es alleine zu machen."

Foto: Markus Hammer

Platz da!

Aber es war schwierig, den richtigen Raum zu finden. "Von Mai bis Dezember haben wir gesucht. Gewerberäumlichkeiten sind superteuer", erklärt Mazzora. "Wir wollten eigentlich schon aufgeben, bis wir den jetzigen Raum doch noch gefunden haben." Die Räumlichkeit in der Spengergasse 52 im fünften Wiener Gemeindebezirk haben die Frauen in vier, fünf Tagen renoviert, in Nacht- und Nebelaktionen. "Am 1. Dezember haben wir die Eröffnung gefeiert." Und seit Mitte Februar sind die vier angebotenen Trainings gut gebucht: "Frauen, denen es bei uns gefällt, nehmen dann ihre Freundinnen mit zum schnuppern und die meisten bleiben dann auch. Wir überlegen mittlerweile, einen zusätzlichen Termin am Montag anzubieten."

Besonders das Thaiboxen kommt bei den Frauen gut an, besser als Boxen, "das hat doch noch den Ruf weg, es sei was für 'Doofe'. Das Rocky Balboa-Klischee halt. Das ist so ein starkes Bild, das kennt man einfach. Thaiboxen ist da exotischer und fremder, das gefällt mehr", meint Mazzora.

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Ohm mit Kick

"Das Thaiboxen hat zusätzlich einen spirituellen Schwenk. Es ist verknüpft mit dem Buddhismus", führt Tutschka aus. "Techniken des Thaiboxen sind Boxen, Kicks, Ellbogen, Knie, Clinchen (Halten der Gegnerin, Anm.)." Was viele nicht wissen: "Man sagt, es ist die härteste Kampfsportart, die es gibt."

Mit "Los geht's und gemma aufeinander los" ist da also nix: Üben, üben, üben ist angesagt, bevor es zum Vollkontakt mit der Partnerin/Gegnerin kommt. "Anfangs trainiert man mit Pads. Man übt die Schritte ein. Das ist schon schwierig genug für Einsteigerinnen." Gerade auch bei Frauen gibt es anfangs zudem oft die Schwierigkeit, sich den Raum zu nehmen, wirklich die Kraft zu spüren, und wo dagegen zu schlagen, weiß Tutschka. "Allein das ist eine Aufgabe, die es zu lernen gilt." Die Thaiboxerinnen, die den Sport auf Wettkampfniveau heben, sind ganz, ganz wenige, sagt sie. "In der Boxfabrik ist das gar nicht unser Ziel, sondern wir wollen gemeinsam Training machen."

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Frauen, bunt gemischt

Gemeinsam heißt in der Boxfabrik: Die Anwältin mit und gegen die Ärztin mit und gegen die Studentin. "Unser Publikum ist wirklich bunt gemischt. Ich weiß bei vielen eigentlich gar nicht, warum sie zu uns kommen, was sie am Boxsport genau anspricht", sagt Mazzora.

Hauptsache, sie kommen weiterhin und bleiben, freut sich Tutschka: "Ich hatte immer das Problem, im fortgeschrittenen Training das einzige Mädel zu sein. Da musste ich überhaupt am Anfang kämpfen: Immer das Gefühl, man ist die Schwächste, man ist nie die Beste. Man kann sich manchmal mit Technik Punkte verschaffen, aber man hat doch nicht die besten Karten."

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Lauwarm war gestern

"Insofern habe ich mich immer nach jemanden gesehnt, der adäquat ist, in der selben Gewichtsklasse, mit dem man sich ein bisschen technisch spielen kann. Bei den Burschen ist es halt so: Sie passen irrsinnig auf und geben nicht alles. Es ist ja nicht nur so, dass die Frauen nicht mit den Burschen trainieren wollen, weil sie meinen, das wäre zu heftig, sondern auch die Männer keine Frauen schlagen wollen. Das ist immer ein bisschen verhalten. Wenn man sich auf einen Wettkampf vorbereitet, dann braucht man aber ein Gegenüber, der das ganz macht und nicht so lauwarm."

Foto: Markus Hammer

Mitmachen?

Wer also Lust auf mindestens wohltemperiertes Boxen bekommen hat, kann zunächst einmal unverbindlich mittrainieren. Jeweils Dienstag und Donnerstag ab 18 Uhr stehen je zwei Trainigseinheiten am Programm: "Wir bieten ein Gratis-Schnuppertraining für Boxen und Thaiboxen an", erklärt Mazzora, "wenn man beide Einheiten körperlich durchhält, auch gern für beides."

Nur zwei Bedingungen gibt es: Frau sein und mindestens 18 Jahre alt. Letzteres erklärt sich aus rechtlichen Gründen. Ein Verletzungsrisiko ist gegeben, meint Tutschka nüchtern: "Sind halt beides Vollkontaktsportarten." (bto/dieStandard.at, 29.3.2010)

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Service

Preise: Einschreibgebühr 30,- Euro

  • 10er Block für Boxen und Thaiboxen (4 Monate gültig ab Ausstellungsdatum) 90.- Euro
  • 6 Monatskarte (gültig entweder für Thaiboxen oder Boxen) 60,- Euro pro Monat
  • 6 Monatskombikarte (gültig für Thaiboxen und Boxen) 74,- Euro pro Monat
  • Einzelkarten ohne Mitgliedschaft 15.- Euro

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Raummiete: Die Räumlichkeiten der Boxfabrik können zudem stundenweise, tageweise, Wochenende sowie auch längerfristig gemietet werden. Auch für Kindergeburtstage stehen die Räumlichkeiten zur Verfügung. Die Nutzfläche beträgt insgesamt 85qm und beinhaltet den Trainingsraum mit 50qm, eine Garderobe, WC und Dusche sowie eine Teeküche.

Kontakt: Spengergasse 52, 1050 Wien; E-Mail

Links: www.boxfabrik.at

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