Saxofonist Lee Konitz

Foto: Newald

... und setzt sich der Einsamkeit des Improvisators aus.

Der Jazz hat schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, nicht mehr am Leben sind die meisten seiner Innovatoren. Und auch jene grau gewordenen Herren, die schon so manche Stilschlacht geschlagen haben und schließlich zu einem gelassenen Altersstil gefunden haben, sind nicht mehr zahlreich. Ein Sonny Rollins ist zu nennen, der in guten Augenblicken nach wie vor an die vitale Hardbop-Zeit erinnert. Ornette Coleman ist natürlich nicht zu vergessen. Der Systematiker des freien Spiels ist im Rahmen seines besonderen Kosmos ein fragiler Apologet des Schrullig-Widerborstigen und des Lyrischen. Auf dem Saxofonsektor jedoch sind das schon fast alle Veteranen, man muss natürlich auch Charles Lloyd und auch Lee Konitz hinzuzählen.

Letzterer war schon sehr früh im Zentrum des innovativen Geschehens, mit 21 Jahren nahm er am Miles-Davis-Projekt Birth of the Cool teil. Und auch die Zusammenarbeit mit Pianist Lennie Tristano ist dafür verantwortlich, dass Konitz zu einer der wichtigen Figuren des Cool Jazz wurde. Gegen das Wort hat er an sich nichts, aber er möchte gerne differenzieren: "Das Wort ist nämlich sehr oft als Vorwurf gegen ein Spiel, dem man jegliche Leidenschaft absprach, eingesetzt worden. Ich kann mich allerdings an Konzerte mit Lennie Tristano erinnern, bei denen die Musik förmlich brannte - nach unseren Maßstäben, vielleicht nicht nach jenen von Art Blakey. Für mich war auch Louis Armstrong cool. Er hatte Kontrolle über sein Spiel und hatte etwas zu sagen. Das ist meine Definition."

Die tendenziell gelassene Stilistik ist jedoch nicht zu verleugnen. Sie ist schon durch den coolen Stil, der an Klarheit und kontrapunktischen Linien interessiert ist, vorgeprägt. Zudem hat Konitz natürlich im Laufe der Jahrzehnte (der Mann aus Chicago ist Jahrgang 1927) längst einen Zustand relaxter Reife erreicht, die das Wort cool zusätzlich angebracht erscheinen lässt. Seine kauzige Poesie der Improvisation abseits jeglicher Jazzhektik hat natürlich noch andere Facetten:

Da ist diese harmonische Schwebe, die etwas Uneindeutiges entstehen lässt, da Konitz in Linien denkt und sie eigenwillig weiterführt, wodurch bisweilen ein interessanter Kontrast zu den zugrundeliegenden Harmonien entsteht. Auf Live at the Village Vanguard (Enja) kann man dies alles in Quartettform nachhören. Auch wie Konitz Phrasen beendet, welchen Schlenkerer er ihnen quasi noch zum Finale verpasst, ist hörenswert. Zudem: Dieser gelassene Umgang mit Wirkungen und den Nebenwirkungen seiner spontanen Notensuche, die den Soli etwas Fragmentarisches verleiht, lohnt der Auseinandersetzung.

Weil es schon um lineares Spiel geht, ist dessen Extremform, die Einstimmigkeit, zu erwähnen, auf die sich etwa Saxofonist Karlheinz Miklin in der Münzgrabenkirche Graz eingelassen hat (Extraplatte). Der Mann spielt nämlich solo, wechselt von Alt- zu Tenorsaxofon, von Bassklarinette zu Altflöte. Doch alles wirkt reduziert. Die Instrumentennamen sind schon die Titel der Stücke, denn für Miklin wird die Hörfantasie "durch Benennung eingeengt." Es sind meditative Impressionen entstanden, die sich auf die hallige Akustik der Kirche einlassen und den Einzelton atmen lassen. Stimmig, geschlossen. Und auch sehr gelassen, um nicht zu sagen cool. (Ljubisa Tosic / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.3.2010)