Eine Balearen-eidechse bei ihrer botanisch wertvollen Futteraufnahme: Die Tiere verbreiten nicht nur Pflanzen-samen, sondern bestäuben auch noch die Blüten der Meerträubel.

Foto: Javier Rodríguez Pérez

Ihre Vorliebe für Beeren macht sie unersetzlich: Die Baleareneidechse (Podarcis lilfordi) ernährt sich zu einem wesentlichen Teil von kleinen Wildpflanzenfrüchten wie zum Beispiel jenen des vom Aussterben bedrohten Seidelbasts Daphne rodriguezzi. Im Magen-Darm-Trakt der Echsen wird allerdings nur das Fruchtfleisch verdaut.

Die Samen passieren unbeschädigt und keimen später dort, wo die Tiere sie ausscheiden. Für einige Pflanzenarten ist dieser Verbreitungsprozess entscheidend für den Fortpflanzungserfolg. Samen von D. rodriguezzi keimen sogar deutlich besser, wenn ihre Beeren zuvor verzehrt wurden.

Leider ist P. lilfordi selbst stark gefährdet. Auf Mallorca und Menorca haben nichtheimische Säugetiere - vor allem Katzen und Marder - die Eidechsen bereits ausgerottet. Die Art überlebt nur noch auf isolierten Inselchen. Und wo die Kleinreptilien verschwunden sind, stirbt auch der Seidelbast aus, sagt der Ökologe Luís Santamaría vom Institut Mediterrani d'Estudis Avancats (Imdea) im mallorquinischen Esporles gegenüber dem Standard.

Das Reptil als Pollenträger

Doch die Baleareneidechsen bewirken noch mehr. Sie übernehmen auch eine Rolle, die meistens Insekten oder dem Wind vorbehalten ist: Fremdbestäubung, den Pollentransport von Blüte zu Blüte. Mitte der 1990er-Jahre wiesen zwei Biologinnen erstmalig nach, dass P. lilfordi gezielt die gelben Blumen eines Wolfsmilchgewächses besucht und deren Nektar aufleckt. Dabei tragen die Eidechsen Pollen von einem Blütenstand zum nächsten (vgl. Oecologia, Bd. 111, S. 241). So ist eine Bestäubung gewährleistet. Weitere Details einer Wechselwirkung zwischen Reptil und Blüten konnten die Forscherinnen damals allerdings nicht aufdecken.

Dies ist nun Luís Santamaría und seiner Kollegin Constanza Celedón gelungen. Im Rahmen einer neuen Studie untersuchten die beiden Imedea-Experten, inwiefern blühende Meerträubel der Art Ephedra fragilis von Baleareneidechsen und Insekten bestäubt werden. Normalerweise gilt E. fragilis als anemogame Pflanzenspezies, was bedeutet, dass sie ihre Pollenkörner vom Wind transportieren lässt. Doch das scheint nur die halbe Wahrheit zu sein.

Santamaría und Celedón führten auf der Insel Sa Dragonera vor der Küste Mallorcas eine Reihe Feldbeobachtungen und Freilandversuche durch. Dabei wurden blühende Meerträubelzweige in durchlässige oder winddichte Stoffhüllen eingepackt. So sollte herausgefunden werden, welche Rollen Tiere, Wind und Selbstbestäubung bei der Befruchtung der Blüten spielen.

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts, die demnächst detailliert in einem Fachblatt erscheinen werden, sind eine Überraschung: Auf den Balearen spielt die Eidechse bei der Bestäubung von E. fragilis offenbar die Hauptrolle. Die Eidechsen sind die häufigsten Blütenbesucher, ihre Schnauzen sind oft dick mit Ephedrapollen eingepudert. Allerdings ist nicht nur die Menge des übertragenen Blütenstaubs von Bedeutung, es geht auch um dessen Qualität.

Wenn eine E.-fragilis-Pflanze nicht von Eidechsen besucht werden kann, produziert sie keimschwache Samen, sagt Luís Santamaría. Dies könnte eine Folge von Inzucht sein, da Selbstbestäubung in Ermangelung tierischer Pollenträger häufiger auftreten dürfte. Interessanterweise scheint auch der Wind die Kleinreptilien nicht wirklich ersetzen zu können. Samen, die aus windbestäubten Blüten hervorgingen, zeigten sich kaum keimkräftiger als die Früchte der Selbstbestäubung.

Der Lockduft des Nektars

Noch lässt sich nicht genau klären, über welchen biologischen Mechanismus die Eidechsen den Fortpflanzungserfolg der Meerträubel fördern. Eine Schlüsselposition scheint aber die Zuckerkonzentration des Nektars einzunehmen. Je höher diese ist, desto häufiger und ausgiebiger wird der Blütenstand von Eidechsen besucht. Die Tiere können den Unterschied nicht nur schmecken, sondern wohl auch riechen. Stark zuckerhaltiger Nektar verbessert anscheinend die Chance einer Blüte auf eine Befruchtung.

Möglicherweise findet bei E. fragilis erneut jener Prozess statt, der vor mehr als 100 Millionen Jahren einen Durchbruch der Evolution einleitete: die Umstellung von Wind- auf Tierbestäubung und die daraus hervorgehende Artenvielfalt bedecktsamiger Blütenpflanzen. Und vielleicht waren deren erste Bestäuber keine Insekten, sondern kleine Saurier. (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, Printausgabe, 24.3.2010)